Ferne Geräusche kündeten von den seltsamen Geschehnissen in dem langen Korridor, doch anstatt sich Hals über Kopf in das Geschehen zu stürzen, wartete die Gruppe tatsächlich recht ruhig. Beinahe hatte Kimihiro befürchtet, das Weißhaar könnte durch den Tumult aufgeschreckt werden, doch ganz offenbar schien sich der Shinobi voerst mit ihren beiden neuen Schlüsseln zufriedenzugeben. Eine Erleichterung für den Künstler, der seinen Partner wider Willen noch nicht ganz zu durchschauen in der Lage war. Auf den ersten Blick wirkte der Junge tatsächlich eher wie ein Kind, das sicherlich gern mit seinem Schwert angab, doch sein Vorstoß gegen die beiden ahnungslosen Mitbewerber hatte eindeutig gezeigt, dass hinter der schlichten Fassade zumindest ein ordentlicher Schlag auf alle wartete, die ihm im Weg standen. Noch sah sich Kimihiro ebendort nicht, doch es bereitete ihm sorgen dass er nicht einschätzen konnte, wann der Junge vielleicht ihn zum neuen Ziel seiner Kräfte machte. Solange er dies nicht mit Sicherheit zu sagen vermochte, war Kimihiro unbedingt auf die falsche Kunoichi aus Amegakure angewiesen, die zumindest einen kleinen Puffer darstellte. Bei einem einseitigen Angriff des Schwertschwingers war der Sumi-Bunshin durchaus dazu in der Lage, seinen Schöpfer mit einem Genjutsu zu unterstützen – eine beruhigende Vorstellung.
Während die Gruppe so vor dem Portal zu Raum 5 Stellung bezogen hatte konzentrierte sich Kimihiro hauptsächlich auf die beiden Vögel, die noch immer so tief wie möglich im Gang warteten und versuchten, die Ursache für die fernen Geräusche herauszufinden. Den zwei anderen Geschöpfen, die vor dem Eingang zu Raum 6 warteten, schenkte der Künstler dagegen kaum Beachtung. Einmal hatte er geglaubt, durch die Augen der Vögel eine Bewegung wahrnehmen zu können, doch wenn sich die mutmaßlich geschlossene Tür tatsächlich einmal geöffnet hatte, war es nur für einen kurzen Augenblick gewesen. Trotzdem war sich Kimihiro jedoch völlig sicher, dass niemand in diesem Teil des Ganges war, was ihn sich recht sorgenfrei auf die beiden anderen Vögel konzentrieren ließ.
Während der Misumi so den Gang weiter voran spähte, versuchte Yui ein wenig den weißhaarigen Jungen zu beschäftigen. Immer weiter bombardierte sie ihn mit Fragen, woher er kam, warum er so gut mit dem Schwert umgehen konnte, ob seine Haare schon immer weiß waren, wie alt er war, und so weiter. Dass ihm dabei kaum Zeit zum Antworten blieb war bei der quirligen Art der Kunoichi kein Wunder.
Eine Zeit lang verbrachten sie so in relativer Ruhe, dann jedoch flackerte eine Bewegung im Blickfeld eines der Vögel auf. Ein Schatten mit langem Haar kam recht schnell den Gang entlanggelaufen. Es dauerte eine Weile, bis Kimihiro im schummrigen Licht erkannte, dass ihm die Besitzerin dieses Schattens nicht unbekannt war: Es handelte sich tatsächlich um Hyuuga Saki, seine Mitbewohnerin, und sie kam direkt auf die kleine Gruppe zu! Für einen Moment war Kimihiro von der Überraschung beinahe wie gelähmt, dann stürzten allerlei Gedanken auf ihn – Gedanken, die sich einzig mit der Frage befassten, was passieren würde, wenn das Mädchen ganz so wie es den Anschein hatte tatsächlich zu ihnen kam. Eine zusätzliche Verbündete mochte auf den ersten Blick vorteilhaft erscheinen, doch in einem zweiten Schritt wurde dem Misumi schnell klar, dass damit dem zerbrechlichen Bündnis zwischen ihm und dem Weißhaar ein jähes Ende bereitet werden konnte. War Saki da, stünden zwei Ninja aus Soragakure zweien aus Shirogakure gegenüber, und auch wenn der Kiri-nin tatsächlich zahlenmäßig unterlegen war, stieg die Gefahr einer Eskalation doch auf ein bedrohliches Niveau. Konnte er, Kimihiro, riskieren, dass Daisuke auf sie beide losging? Sollte er die Gefahr eines Kampfes einfach akzeptieren? Was blieben ihm für andere Möglichkeiten, die die junge Hyuuga nicht aus der kleinen Gruppe ausgrenzten?
*Zwei gegen zwei… dieses Verhältnis passt einfach nicht. Wenn wir nur…*
Rasch schalteten sich verschiedene Gedankengänge hintereinander zu einem vielleicht etwas übertrieben Plan, doch der vorsichtige Misumi sorgte sich lieber einmal zuoft um Sicherheit als einmal zu wenig. Blitzschnell klärte er seinen Bunshin über die Lage auf, wobei Yui keinen Muckser von sich gab und einfach weiter auf Daisuke einredete. Es war ein weiterer Segen der Künstler-Jutsus, dass sich Kimihiro derart heimlich über die Künstler-Bild-Verbindung mit der falschen Kunoichi unterhalten konnte, doch war noch immer keine Zeit dafür um dem Schöpfer dieser Techniken zu danken.
Am Ende der Erklärungen, die kaum mehr als ein paar Augenblicke vereinnahmte, wandte sich Yui wie aus heiterem Himmel grinsen in die Richtung des Ganges, aus der leiser Lärm ertönte. Mit vor Eifer geschwellter Brust verkündete sie:
„So, genug der Warterei, ich werde mich dort hinten einmal etwas genauer umsehen! Ihr beiden bleibt solange hier, schließlich brauche ich keine herum trampelnden Kerle auf meiner Erkundungstour! Kimihiro, bau du irgendeine Illusion auf, die euch derweil abschirmt. Wir wollen ja nicht, dass jemand euch hier während meiner Abwesenheit allzu leicht findet, richtig? Und wehe ihr kriegt euch hier in die Haare!“ Anschließend hüpfte Yui los, blieb jedoch nach ein paar Metern bereits stehen und drehte sich noch einmal um.
„Ihr bleibt hier, haben wir uns verstanden? Ja? Gut!“ Lächelnd drehte sich Yui wieder um und begann, den Gang hinunter zu hetzen. Daisuke und Kimihiro blieben allein zurück. Letzterer machte sich mit gespielt verdutztem Gesichtsausdruck nach einem genervten Schulterzucken daran, ein blankes Blatt Papier mit der Zeichnung einer steinernen Wand zu versehen. Sobald das Bild fertig war, bugsierte Kimihiro es mit einem Fingerzeichen in die Wirklichkeit.
„Gahaku no Zu.“ Mit dem Erklingen dieser Worte baute sich etwas vor dem Portal quer über den Korridor eine Mauer auf, die rein visuell nicht von einem echten Exemplar zu unterscheiden war. Man konnte weder hindurchsehen, noch die Illusion über falsche Schatten als solche erkennen. Wer lediglich seine Augen benutzte würde denken, dass er entweder einer falschen Karte folgte oder diese nicht richtig las. Auf den ersten Blick kein großer Vorteil, doch eventuell später einmal nützlich. Nach getaner Arbeit drehte sich Kimihiro seinem Kameraden zu, schaute ihm in die Augen und setzte sich dann schließlich etwas verspannt an den Rand des Korridors, wobei er den Blick nicht von dem Jungen nahm. Alles an Kimihiro sollte dem Schwertkämpfer den Eindruck vermitteln, dass er es hier lediglich mit einem etwas ängstlichen, wenn auch fähigen Illusionisten zu tun haben; in keinem Fall jedoch mit jemandem, der ihm gefährlich werden konnte.
So verharrten die beiden eine Weile, bis Yui irgendwann einfach durch die falsche Mauer hindurch spaziert kam. Scheinbar ganz normal gesellte sie sich zu den beiden Jungen, schaute beide an, und sagte dann:
„Puh, dort hinten geht ziemlich die Post hab. Ich wäre dafür, dass wir weitergehen. Kimi-kun, Seppen-chan?“ Kimihiro nickte auf diese Frage nur leicht überrascht und erhob sich dann, bevor er sich fragen ebenso Daisuke zudrehte. Nun lag es einzig am Schwertkämpfer zu entscheiden, ob sich er, Kimihiro und „Yui“ tatsächlich zu Raum 6 aufmachen sollten. Kimihiro war zuversichtlich, dass der Junge einwilligen würde, immerhin wusste er mit 99%iger Wahrscheinlichkeit nicht, dass sich an der Zusammenstellung des Trios mittlerweile etwas verändert hatte…
Kurz zuvor…
„Saki!“
Vorsichtig lief Kimihiros Bunshin auf die langhaarige Hyuuga zu. Noch bevor sie Zeit hatte daran zu zweifeln, ob es sich bei der fremden Kunoichi um eine Falle handelte, sauste einer der beiden Tintenvögel, die vorn im Gang gewartet hatten, sicherheitshalber an ihr vorbei. Spätestens jetzt würde sie sich sicher sein können, dass das fremde Mädchen die Wahrheit sagt, sollte ihr dabei nicht bereits ihr Byakugan geholfen haben.
Als die Hyuuga in Reichwiete war, hob die Tintengestalt die Hand und setzte zu einer langatmigen Erklärung an:
„Keine Zeit für Erklärungen, Kimihiro schickt mich. Wir müssen die Plätze tauschen. Benutz dein Henge und nimm diese Gestalt an, dafür werde ich deine annehmen. Anschließend läufst du den Gang entlang, bis du auf eine Mauer triffst. Lauf hindurch, das Ding ist bloß ein Genjutsu. Wenn du dort bist ist dein Name Akikaze Yui, du bist eine Fuuton-Nutzerin aus Amegakure und ein mädchenhaftes Energiebündel. Tu so, als hättest du deinen Schlüssel noch, solltest du ihn bereits verloren haben, und spiel einfach mit. Es ist wichtig, dass sich das Weißhaar bei Kimihiro weiter sicher fühlt und keinen Verdacht schöpft. Das Kerlchen mag zwar etwas einfach scheinen, doch seine Kampfkraft ist nicht zu unterschätzen. Solange du aber deine Rolle spielst, passiert dir nichts. Und jetzt sie mich genau an; deine Verwandlung muss perfekt werden. Vergiss auch nicht, die Stimme etwas zu verstellen - es kann nicht perfekt werden, aber wir müssen nunmal hoffen, dass Daisuke nichts merkt.“ Es folgte eine kurze Stille, dann ergänzte sich Yui selbst:
„Ach, noch etwas: Du nennst das Weißhaar ‚Seppen-chan‘, verstanden? Ansonsten musst du dich auf unverfängliches Geschnatter beschränken; kein Wort über das, was du dort hinten erlebt hast.“
Sobald Saki den Eindruck erweckte, in einem guten Henge zu stecken und alles verstanden zu haben, verwandelte sich der Bunshin seinerseits in eine Kopie der Hyuuga. Anschließend legte sie sich auf den Boden und spielte so gut wie möglich die Bewusstlose. Das würde Nachrücker ebenso wie die Wand hoffentlich lange genug aufhalten, um Kimihiro, Daisuke und Saki eine entspannte Flucht zu ermöglichen. Denn noch immer wusste niemand so recht, was noch alles in diesem überfüllten Korridor geschehen mochte…
TBC: Raum 6