*Als ich das Hafenviertel Getsurins an diesem Nachmittag besuchte, fiel mir nicht zum ersten Mal auf, wie sehr es hier müffelte. Das salzige Aroma des Meeres mischte sich auf unangenehme Weise mit dem Odeur in der Nachmittagssonne faulenden Fischs und benebelte einem die Sinne, kaum hatte man einen Schritt in dieses von den Göttern längst verlassene Viertel getan. Doch da war noch etwas anderes… Etwas, das weder mit der blauen See noch mit verrotenden Forellen zu tun hatte… Eine Duftnote, die einem strenger in die Nase stieg als selbst die älteste, stinkende Sardine auf diesem Ganzen verlorenen Planeten.
Es war der Gestank… des Verbrechens!*
Die Sonne hatte vor einer Weile schon ihren Zenit überschritten, als Oita an diesem Tag das Hafenviertel von Getsurin betrat. Nicht, dass man den Knaben dabei als ihn selbst erkannt hätte. Gekleidet in einen viel zu großen, beigefarbenen Mantel, einen farblich passenden Hut mit gewaltiger Krempe und eine verspiegelte Sonnenbrille schwitzte der Furasaki nicht nur ungemein, er wirkte auch mehr wie ein wandelnder Kleiderständer als wie, nun ja, er selbst. Doch als wäre sein Outfit nicht auffällig-unauffällig genug, durchwanderte Oita das Hafenviertel obendrein in einem so breiten und gespielt machohaften Gang, dass wirklich nur die wenigsten, die sich zu dieser Zeit im Viertel befanden, umhin kamen, den Jungen nicht zu bemerken. Oita allerdings konnte oder wollte diese Tatsache nicht bemerken und setzte deshalb seinen Weg unbeirrt fort.
*Ja, es war das Verbrechen, das hier lauerte, in den Schatten von abgehalfterten Lagerhallen und schäbigen Spelunken, wo Moral ein Fremdwort war. Die guten Leute von Sora, die weit über diesem schmutzigen Ort wohnten, wussten nicht, was sich hier alles tummelte, genauso wenig wie sie wussten, wer sich jeden Tag den Arsch aufriss, damit es so blieb…*
Vertieft in seinen inneren Monolog warf Oita neugierige Blicke in alle Richtungen, die umso aufgeregter wirkten, je näher er dem wirklich zwielichtigeren Teil des Hafens kam. Schmutzige Straßen, miefende Matrosen und räuberische Ratten, wohin das Auge sah… Oita konnte einfach nicht anders, als hinter dem hochgeschlagenen Kragen seines Mantels zu grinsen.
*Sie würden nie erfahren, welch mutige Männer und Frauen täglich in die Dunkelheit herab stiegen, um ihre langweiligen Vorstadtexistenzen vor der Grausamkeit des wirklichen Lebens zu bewahren.
Was mich anging… Ich war weder mutig, noch war ich ein richtiger Mann. Ich war ein Junge, der einfach nur froh war, mal keine blöde Mission annehmen zu müssen. Keinen lebensgefährlichen Auftrag, bei dem man die Verantwortung für irgendjemandes Leben trug, oder gegen die ausgebildeten Krieger einer feindlichen Nation antreten musste. Auf mich wartete einfach nur ein Job. Einer wie jeder andere.
Dachte ich zumindest.*
So übertrieben theatralisch Oita die Mission in seinem Kopf auch darlegte, so lag doch auch irgendwie ein Fünkchen Wahrheit in seiner Vermutung, dass mehr hinter diesem Job steckte. Dabei hatte alles ganz normal angefangen…
Vor einigen Tagen hatte Oita wieder einmal ein Brief der Dorfleitung erreicht, welche ihm mitteilte, dass es erneut Arbeit für ihn gab. Arbeit, die auf den ersten Blick harmlos wirkte: Eine Firma, die massenhaft Siegelbriefe herstellte, darunter auch Bomben und Blendgranaten, wie sie Oita gerne benutzte, bat um Ninjas. Die wiederum sollten sich ansehen, ob ihre Fabriken sicher waren, oder ob man ganz leicht einbrechen konnte. So weit, so gut.
Es gab jedoch ein paar Punkte, die Oita überrascht hatten. Da war zum einen der Treffpunkt, den sein Teamkollege, ein Genin namens Kushou Joudan, oder vielleicht auch die Dorfleitung vorgegeben hatte. Warum sollten sich die beiden in irgendeiner Bar im Hafenviertel treffen, wenn es eigentlich nur um einen routinemäßigen Sicherheitscheck ging? Zum anderen konnte sich Oita auch daran erinnern, dass die Siegel, die er letzthin in Sora von seinem hart erarbeiteten Lohn gekauft hatte, ein bisschen teurer als sonst waren. Ganz unschuldig hatte er auf Basis dieser beiden Umstände seine Schwester gefragt, ob sie irgendwas wusste…
*Das Mädchen hatte sein Bestes getan, mir die Wahrheit vorzuenthalten. Doch ich hatte sie durchschaut… Ihr Gesicht war so einfach zu lesen gewesen, wie ein Kinderbuch mit besonders vielen Bildern. Sie wusste etwas… Und ich würde herausfinden, was dieses etwas war...*
In Wahrheit hatte die Kunoichi ihren neugierigen Bruder zwar einfach nur abgewürgt und ihn angeschnauzt, er solle seine Nase nicht in die Angelegenheiten anderer Leute stecken. Allerdings hatte Oita da schon Lunte gerochen. Ein einfacher Job, ohne Missionsleitung, ohne Shiros, mit einer waschechten Firmenverschwörung und einem Treffen in einer Hafenkneipe? Welcher junge Ninja wäre da nicht aus dem Häuschen gewesen?
So kam es also, dass Oita in seiner etwas lächerlichen Detektivverkleidung durch Getsurins Hafen stromerte, und zwar reichlich ziellos. Die Jobbeschreibung war nämlich nicht gerade mit einer ausführlichen Wegbeschreibung hin zu dieser Kneipe gekommen, und so musste Oita irgendwann einsehen, dass er sie wohl nicht finden würde, indem er einfach nur querfeldein durch die verwinkelten Gassen des Hafens stolperte.
Die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben suchte er sich deshalb den nächstbesten Hafenarbeiter, der nichtsahnend vor der geschlossenen Tür einer anderen Spelunke stand und gemütlich eine rauchte. Oita bemerkte er erst, als der ihm schon so nahe gekommen war, dass eine Flucht vor diesem merkwürdigen Zwerg schier unmöglich schien. Nicht, dass sich der Arbeiter eingeschüchtert fühlte; er wusste lediglich, dass sich im Hafen ab und zu ganz schön schräge Charaktere herumtrieben, mit denen ein Gespräch bestenfalls sinnlos war, und schlimmstenfalls damit endete, dass man einem geistig Verwirrten eins auf die Nase geben musste, ob man nun wollte oder nicht.
„Hey, Mann…“
Der Hafenarbeiter zog deutlich eine Braue nach oben, als er Oitas verstellte Stimme hörte. Der Junge klang nach irgendetwas zwischen verschleppter Bronchitis und Möchtegern-Tenor. Noch mehr staunte er allerdings, als der Knabe einen seiner Ärmel etwas hochzog und das blitzeblanke Zeichen von Iwagakure vorzeigte, das er sich ums Handgelenk gebunden hatte.
„Keine Mätzchen, klar? Ich bin einer von den Guten. Das, äh… Asari? Kennste das?“
Der Arbeiter nickte bloß.
„Gut, gut… Äh… Wo ist der Schuppen?“
Der Arbeiter hob eine Hand und zeigte die Straße runter.
„Hmm, ja, natürlich… Na gut. Äh, weitermachen.“
Ohne Weiteres stapfte Oita die Straße runter, folgte einer etwas offensichtlichen, aber nicht ganz eindeutigen Biegung, und fand sich gerade, als er die Suche schon aufgeben und ein nächstes Opfer nach dem Weg fragen wollte, tatsächlich direkt vor dem Asari wieder. Einen Augenblick bestaunte Oita das schlichte Schild, das über der überraschend traditionellen Eingangstüre hing, bevor er sich genauso auffällig-unauffällig wie den ganzen Tag schon nach irgendjemandem umsah, der ihn vielleicht gerade dabei beobachtete, wie er die Spelunke betreten wollte. Grund für sein Misstrauen hatte Oita natürlich nicht, aber irgendwie fühlte es sich richtig an, sich vor dem Betreten eines solchen Etablissements umzusehen.
Und tatsächlich: In der Nähe der Kneipe war wirklich jemand, der deren Eingang im Blick hielt. Oita erschrak ein bisschen, als er die unförmige Gestalt entdeckte, und brauchte eine Weile um zu erkennen, dass es sich nicht um irgendeinen Buckligen handelte, sondern einfach nur einen Kerl, der eine Umhängetasche und noch irgendwas bei sich trug. Durch seine seltsame Klamotte und den Schlagstock am Gürtel wirkte der Typ trotzdem reichlich zwielichtig. Oita war deshalb schon drauf an dran, einfach ins Asari zu flüchten, in der Hoffnung, der Kerl hätte es auf jemand anderen abgesehen, als ein verirrter Sonnenstrahl die Metallplakette auf der Tasche des Typen traf und das eingravierte Zeichen von Amegakure überdeutlich hervorhob.
*Eine andere verlorene Seele, hmm… Vielleicht mein Partner, vielleicht auch nicht. Wir werden sehen…*
Oita ließ vom Eingang des Asari ab und stapfte gemächlich auf Joudan zu, wobei er zwei schnelle Blicke nach rechts und links warf, bevor er sich ganz auf den anderen Ninja konzentrierte. Gleichzeitig raffte Oita abermals seinen Ärmel, um kurz das Zeichen von Iwagakure an seinem Handgelenk zu entblößen.
„Yo…“
Oita blieb etwa zwei Meter von Joudan entfernt stehen, bevor er ihn mit immernoch verstellter Stimme anredete.
„Ame, hmm? Bist nicht mein erster, Kumpel. Sag mal, haste hier was zu erledigen, oder stehste einfach nur gerne rum und guckst Kneipen an?“