Das breite Lächeln und die Geschichte Joudans, wie er das Kochen unter den strengen Augen seiner Großmutter erlernt hatte, ließen Mai ebenfalls lächeln. Sie konnte sich richtig gut vorstellen, wie das wohl gewesen sein musste. Und es hatte ihm anscheinend nicht geschadet, denn nun konnte der Blonde seine Schwester und sich selbst versorgen. Etwas, das Mai nicht unbedingt von sich behaupten konnte. Aber sie hatte Joudan die Gründe dafür dargelegt, welcher diese sogleich als Steilvorlage für eine, wenn auch scherzhaft gemeinte, Spitze in ihre Richtung verwandte. Mademoiselle aus wohlhabender Familie - ja, das traf wohl zu. Peinlich berührt legte Mai sich die Hand auf die Stirn, biss sich auf die Unterlippe und wandte den Blick von Joudan ab, um ihre Verlegenheit ein wenig dramatischer darzustellen, als sie war. Aber dennoch hatte sie sich dazu durchringen können, Joudan zu beichten, dass sie nicht immer eine angenehme Person gewesen war. Doch diesmal zog er sie nicht mehr damit auf, nein. Stattdessen sagte er ihr etwas anderes.
Die Komplimente ließen die Blauhaarige aufblicken, ihn anlächeln. Sie merkte, dass ihr Herz schneller schlug und wie sehr sie sich darüber freute, dass Joudan sie wundervoll, großartig und bildhübsch fand. Es machte sie glücklich und ließ sie für einen Moment die schweren Umstände vergessen. Doch es sollte nicht bei diesem einen Geständnis bleiben. Ihr Lächeln wich der Überraschung, ihre Augen wurden groß. Joudan hatte den Mut zusammen genommen, und ihr seine Gefühle gestanden. Er war also ziemlich verliebt in sie? Ihr Herz schlug so stark gegen ihren Brustkorb und ihr Bauch kribbelte so sehr, dass sie glaubte, keinen Bissen mehr runter zu kriegen, da er bereits mit Schmetterlingen überfüllt war. Mai bemerkte natürlich, dass er auf eine Antwort wartete. Es war nicht einfach, schließlich war sie gerade sprachlos. Doch konnte sie erahnen, wie sehr er unter ihrem Schweigen leiden musste und wollte ihn daher erlösen: „
Du warst jetzt mutiger, als ich es je sein könnte.. aber das macht es mir leichter. Ich glaube, dass ich mich bereits in Shinkusa Hals über Kopf in dich verliebt habe“, gestand sie ihm lächelnd und driftete sogleich in Erinnerungen ab. Warum war das nur so gewesen? Wie hatte ihr das passieren können? Ausgerechnet in jemanden der feindlichen Fraktion! Sie war doch so pflichtbewusst, so bemüht um Erfolg. So loyal und zielstrebig. Wieso nur war sie auf Joudan getroffen? Auf diesen Shinobi, dem sie so misstrauisch gegenüber getreten war. Der so freundlich, so offen und zugänglich gewesen war. Der seiner Schwester ein Geschenk mitbringen wollte. Der einer ihm fremden Kunoichi etwas zu Essen spendierte und es geschafft hatte, ihr weiche Knie zu bescheren, als er ihr ein Kompliment am Schmuckstand gemacht hatte.
Unbewusst verzerrte Mai ihr Gesicht, sah durch Joudans grasgrüne Augen hindurch. Ihre Sicht verschwamm in den Tränen, welche aufstiegen.
Und dann führte sie der Zufall in einer sternklaren Nacht zusammen. Sie verstanden sich auf Anhieb so gut, waren auf derselben Wellenlänge. Er hatte ihr den Mantel umgelegt, als ihr kalt wurde. Und sie kamen einander näher, er hatte sie geküsst.. Sie versprachen einander, über das, was sie verband, zu schweigen. Und es zu versuchen, weil die Sehnsucht zu unerträglich wäre.
Und dennoch musste Mai ihm diese furchtbare Frage stellen, ob sie wohl zu naiv waren. Leider reichte ein Blinzeln ihrerseits aus, sodass sich nun doch Tränen ihren Weg über die Wangen der Blauhaarigen bahnten. Doch bei diesem Ausrutscher sollte es bleiben und Mai wischte sie schnell mit ihren Fingern weg.
Die Pläne des Blonden, sich hier gemeinsam mit ihr ein Zimmer für die Nacht zu teilen, ließen ihr Herz kurzzeitig in die Hose rutschen. Das überraschte sie nun wirklich. Nicht, dass sie sich nicht bereits gefragt hatte, wo die beiden überhaupt verbleiben würden heute.. aber das überforderte sie nun ein wenig. Was sollte sie denn jetzt sagen?! Schamesröte stieg ihr ins Gesicht. Vor einiger Zeit gab es jemanden in ihrem Leben, noch bevor sie Joudan traf. Ein Kollege aus Shirogakure, mit welchem sie für ein paar Monate immer wieder mal aus war. Aus dieser gemeinsamen Zeit nahm Mai jene Erfahrungen mit, welche ihr nun dabei halfen, nicht einfach umzukippen. Aber letztendlich war diese Affäre flüchtiger, als erwartet und verlief sich im Sande. Würde sie mit Joudan ebenfalls so weit.. Er wechselte das Thema. Er sagte „aber“.
Es war so schwer, die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Mai konnte sich nicht erinnern, etwas Vergleichbares je erlebt zu haben. Zweimal war sie in den dunklen Raum eines Bergwerks gesperrt worden, stand jedes Mal Todesängste aus. Sie musste mit ansehen, wie ein Teammitglied unter ihrer Leitung so schwer verletzt worden war, dass er den Beruf als Shinobi aufgeben musste. Ein Freund hatte sie vergiftet. Riesenspinnen musste sie häuten. Angst, Ekel, Trauer, Enttäuschung, Vorwürfe, Wut. Doch das, was Joudan ihr gerade bescherte, war ihr neu. Es war, als würde ein tiefes, schwarzes Loch in ihrem Inneren alle Hoffnung, allen Frohsinn.. ja sogar alle Traurigkeit nehmen. Es blieb nur noch Leere. Immer wieder rollten ihr stille Tränen über die Wangen, während sie seinen ehrlichen Worten lauschte. Den Worten, welchen sie zustimmen musste, so schmerzlich es auch war.
Mai presste die Lippen aufeinander. Mittlerweile waren ihre blauen Augen rot umrandet. Sie sah Joudan an, bemerkte, wie er sie um eine Möglichkeit anflehte. Langsam, wie in Zeitlupe, schüttelte sie den Kopf und senkte den Blick, um ihre Finger dabei zu beobachten, wie sie sich in ihre Oberschenkel krallten. „
Ich sehe keine Möglichkeit“, hauchte sie stimmlos. „
Ich habe mir wirklich den Kopf darüber zerbrochen, aber ich finde keinen Ausweg“ Wenn sie nun ihre Hand in seine legen würde, würde sie erst recht in Tränen ausbrechen. Es war ihr peinlich genug, so ungehalten zu sein. Sie brauchte einen Moment Zeit. Ein, zwei Schlucke Tee, um sich zu beruhigen. Irgendwann fühlte die Kunoichi sich gefestigt genug, um wieder sprechen zu können. Gequält sah sie Joudan an, ein bitteres Lächeln zierte ihre Lippen dennoch. „
Das heißt, wir werden wieder nur Bekannte sein“, schlussfolgerte sie und hasste es, das aussprechen zu müssen. „
Zumindest so lange es uns möglich ist, gute Bekannte zu sein“, hing sie verunsichert an. Im Moment war sie sich sicher, ziemlich schnell wieder schwach zu werden, wenn sie ihm noch einmal begegnen würde. Dafür müsste schon Zeit ins Land ziehen, um Distanz zu diesen Gefühlen für Joudan zu entwickeln. Wäre der heutige Abend nun ihr Abschied? Die Auflösung ihrer Bande? Ja, das traf wohl zu. War es den beiden jungen Shinobi denn noch möglich, wenigstens diese Stunden noch zu genießen? Ganz so, als gäbe es deren Leben außerhalb nicht? Wenigstens für diese Stunden. „
Lass uns einen schönen Abend verbringen“, schlug sie lächelnd vor, wenn ihr auch noch immer die Tränen in den Augen standen. Und dann legte sie ihre Hand in Joudans.