Das Mädchen wollte sich gerade von ihrem Ast herunterbewegen, um Katsumi entsprechend zu begrüßen, da kam auch schon ein Junge angeflogen, und sein Auftritt war spektakulär. Ryoichis Aktion wurde als „typisch“ abgetan, nicht unerwartet und vor allem angesichts des überschwänglichen Charakters ihres Partners absolut bezeichnend. Wie gut, dass sich Junko noch auf ihrem Baum befand und erst jetzt herunterkraxelte. Sie würde sich zwar heute ohne Frage im Schlamm wälzen, aber wenigstens war das dann nicht auf ihren Partner, den armen Hahn im Korb, zu schieben.
„Hallo Ryoichi. Es freut mich zu sehen, dass es dir gut geht.“, denn immerhin ist alles wie immer, nur schlimmer. Der trockene und eher beiläufige Kommentar Junkos konnte leicht mit einem bösartigen Seitenhieb verwechselt werden, obwohl es sich hierbei nur um eine Feststellung handelte. Auch Kaori, welche Junko ebenfalls von der Akademie her kannte, trudelte mitsamt ihrem Wolf ein und ließ es sich nicht nehmen, Ryoichi mit einem bissigen Kommentar zu bedenken. Junko ihrerseits ließ es sich nicht nehmen, Kaori einmal anerkennend zuzulächeln.
Während die Kunoichi noch einmal den Sitz ihres Anoraks überprüfte, nahm sie sich Zeit, sowohl ihren Teamkollegen als auch ihre Gegnerinnen erneut in Augenschein zu nehmen. Katsumi schien erst höflich und zurückhaltend, wenngleich ein wenig nervös, gewann aber mit der Ankunft des Wolfsmädchens Selbstsicherheit, die sich auch deutlich in ihrer Mimik niederschlug. Junko fiel es zunehmend schwer, dieses Mädchen einzuschätzen, hatte aber den Eindruck, dass diese sich, als sie Haltung annahm und sich per Kopfnicken mit ihrer Teamkollegin verständigte, auf Ryoichi fixierte. Von den Fähigkeiten Katsumis hatte Junko keine Ahnung und rechnete bereits mit dem schlimmsten Fall, der hier Genjutsunutzer hieß. War diese Situation gegeben, war Katsumi gerade für sie und Ryoichi eine weitaus gefährlichere Gegnerin als Kaori mitsamt ihrem Wolf. Bei dem Gedanken an das weißhaarige Wolfsmädchen musterte Junko dieses kurz und musste bei der Erinnerung an ihre gemeinsame Unterrichtsstunde lächeln. Damals war sie in den Genuss eines kaori’schen Ausrasters gekommen, der wiederum durch einen schiefen Blick auf ihren Wolf – wie hieß er noch? Hitomi? – ausgelöst wurde. Da war die Schwachstelle der Weißhaarigen, denn wer wütend war, machte auch Fehler … zumindest baute Junko darauf. Zugleich schien Kaori sie mit einem abschätzenden Blick zu mustern, woraus das Mädchen mit dem Pferdeschwanz messerscharf schloss, als Angriffsziel auserwählt worden zu sein.
Was Ryoichi anging, so war der Kunoichi aufgrund ihrer vorherigen Begegnung bewusst, dass er sich hauptsächlich auf Taijutsu spezialisiert hatte und auch von seiner Art her lieber mit erhobenen Fäusten durch das Leben zog. Junko ihrerseits hatte nicht vor, ihren Gegnerinnen die Angelegenheit allzu leicht zu machen, geschweige denn sie ihre Strategie sicher verfolgen zu lassen. Somit zog sie ihren Kollegen am Ärmel seines Anoraks etwas weiter weg von den beiden, was im Sinne der Verteilung sein sollte. Kurios war allerdings, dass sie offenkundig beabsichtigte, den Taijutsukünstler schräg hinter sich zu postieren, als würde sie, Junko, ihm für irgend etwas Deckung geben. Sodann weihte sie ihn, selbstverständlich flüsternd und so leise, dass die beiden anderen Grazien sie nicht hören konnten, Ryoichi in ihren Plan ein.
„Pass auf, die beiden verwirren wir jetzt etwas. Ich stelle mich gleich so hin, als würde ich dir Deckung geben, während du Fingerzeichen machst, als würdest du ein gaaaanz gefährliches Siegel formen. Mach einfach irgendwelche Zeichen, auch wenn es kein Ergebnis gibt und konzentrier’ dich auf sie.“An dieser Stelle deutete Junko deutlich und unmissverständlich auf Kaori. „Nicht hingucken, nicken. Brav. Wenn wir Glück haben, verlieren die beiden nämlich die Nerven und stürzen sich dann mit dir in den Nahkampf, statt irgendwelche Jutsus zu formen.“Da ist so abwegig, das kann nur schief gehen. Brillant, Junko, und was machst du? Einen guten Eindruck? Nee, Rückendeckung … ich muss nur noch herausfinden, was die beiden machen und anschließend darauf reagieren, wie es mir gerade einfällt. Jetzt fühlt sich Kaori hoffentlich verunsichert und glaubt, mit einem Jutsu attackiert zu werden. Mal schauen, ob ich heute meine Inuzuka-Spezial-Abwehr testen kann. Hätte ja sein können, das heute so einer auftaucht.
Eine Hand hatte die Kunoichi bereits in ihrer Hintertasche, um nach dem entsprechenden Überraschungsgegenstand zu tasten, während sie sich auf ihre Position begab. Es sah tatsächlich von ihrem Abstand und ihrer Haltung so aus, als wolle sie Ryoichi Deckung geben … ein Bluff, aber das konnten die anderen beiden ja nicht wissen. Außerdem hieb Junko zusätzlich, als Steinchenwurftaktik sozusagen, noch zusätzlich in eine ihr bekannte Kerbe, indem sie noch einmal folgendes laut zum Besten gab.
„Ich bin zwar der Meinung, dass wir einen dritten Mann in unserem Team verdient haben, aber was soll’s. Kaori ist immerhin keine Inuzuka, also zählt der Wolf als Partner, und nicht als Werkzeug. Keine Bange, wir kommen auch so klar. Von mir aus können wir anfangen.“
Junko wusste, dass Kaori darüber wütend werden würde, und sie wusste, dass Kaori jetzt wahrscheinlich annahm, die Kunoichi wolle sie provozieren, um von Ryoichi abzulenken. Vielleicht gewann das Team auch wertvolle Sekunden, weil sich Kaori plötzlich in der Verlegenheit befand, ihre eigenen Pläne noch einmal zu überdenken. Vielleicht auch nicht. Die nächste Aktion würde es entscheiden und Junko würde ihre Strategie dann anpassen.