Als sie Yasua am Nordtor traf, wartete er bereits ungeduldig auf das Mädchen. Er ging auf und ab, blieb abrupt stehen, als er Airika sah.
„Hi! Dann können wir jetzt los, oder? Hast du alles?“ Ob er auch so aufgeregt war, wie sie? Die Rothaarige fühlte sich jedenfalls so, als würde ihr Herz gleich in die Hose rutschen. Ein solches Vorhaben hatte sie noch nicht gewagt. Es war was ganz anderes, als in einer Mission mit mehreren anderen Shinobi oder Kunoichi unter der Leitung eines erfahrenen Ninjas zu agieren. Und das hier war weit gefährlicher als ein harmloser Job. Doch irgendwie kratzte es immer noch an ihren Stolz, dass es ihr keiner wirklich zutraute, allein dort hinzureisen. Sie war weder doof noch hatte sie gar keine Erfahrung!
„Ehm, ja. Hab‘ ich. Danke. Wir müssen uns auf jeden Fall beeilen.“
„Jupp. Lass uns keine Zeit verschwenden. Das Vorhaben ist für uns auch vorteilhaft, weil man ja nie wissen kann, wann man das Kraut noch mal benötigt. Ich hoffe, du kannst mit meinem Tempo mithalten.“ Tse, den letzten Spruch hätte der sich auch sparen können. Sie beließ es allerdings nur bei einem Nicken und machte über seine unnötigen letzten Worte keine weitere Bemerkung. Endlich passierten die beiden Genin das Nordtor und ließen das große Dorf hinter sich.
Jedoch musste die junge Genin rasch feststellen, dass Yasua in der Tat sehr schnell war. Sie kam nach einer Zeit echt ins Schwitzen.
„Na komm! Leg mal einen Gang zu!“, rief er. Seit drei Stunden waren sie schon unterwegs und so langsam brauchte das Mädchen eine Pause. Sie sind oft schnell gelaufen, über Geäst gehüpft und haben bereits eine recht weite Strecke zurückgelegt.
„Ich geb‘ mir ja schon Mühe!“, rief die Rothaarige außer Atem und versuchte schneller zu laufen. Diese leicht spöttische Art von Yasua fing langsam an, ihr auf die Nerven zu gehen, schluckte es jedoch zunächst runter. Der Blondschopf gesellte sich wieder neben ihr und grinste sie an. Der schien jedenfalls nicht außer Atem zu sein.
„Wie alt bist du eigentlich?“
„17.“ Das sprechen fiel ihr schwer, während sie versuchte, ihr Kondition aufrecht zu erhalten.
„Und seit wann bist du aus der Akademie raus?“ Warum löcherte der Kerl sie jetzt mit Fragen? Wie nervig. Das ging ihm doch eigentlich einen feuchten Dreck an.
„Seit Sommer letzten Jahres.“ Hoffentlich hielt er jetzt die Klappe. Das half ihr nämlich nicht besonders weiter.
Er wollte doch schließlich, dass sie sein Tempo hielt! Das Mädchen spürte, wie die Laune Minute für Minute sank. Sie brauchte eine Pause, sie hatte Durst und ihre Füße taten weh. Und ihr Gesicht war voll verschwitzt. Der Schweiß ging ihr immer in die Augen. Ach verflixt!
„Oh du bist ja noch ein richtiger Anfänger. Dann wars ja die richtige Entscheidung von Ao-Sensei, mich dir zur Verfügung zu stellen. Ist echt gefährlich hier. Glaub mir, spreche aus Erfahrung.“ Machte er sich etwa über sie lustig? Airika blieb abrupt stehen und starrte ihren Kameraden wütend an.
„Hör auf, dich über mich lustig zu machen! Ich komme auch ohne dich gut zurecht! Und hör gefällig auf mich die ganze Zeit so blöd anzugrinsen, ey!“ Das Gesicht glühte förmlich und sie ballte die Fäuste. Yasuo hatte mit diesem Ausbruch wohl nicht gerechnet und schaute sie etwas verblüfft an.
„Mach ich doch gar nicht. Ich glaub,… wir sollten eine kleine Pause einlegen.“ Na endlich! Airika schnaubte.
Plötzlich spürte sie just in diesem Moment Reue in sich aufkommen. Eigentlich hatte er sie doch nur motivieren wollen. Vielleicht war er auch nur etwas ungeschickt? Dieser ganze Stress, die Sorgen um Yoshi, dieser verletzte Stolz… das wurde ihr jetzt echt ein bisschen zu viel. Schweigend suchten sich die Zwei einen geeigneten Platz im Wald und setzten sich auf zwei umgefallene Baumstämme, die schon ein paar Jahre dort lagen. Das morsche Holz gab ein wenig unter ihnen nach, knackte, brach aber nicht ein. Der Medic-Nin-Schüler wirkte ein wenig geknickt und aß aus seiner Ration.
„T-tut mir Leid“, brach die Rothaarige gequetscht hervor.
„Das von vorhin… das war nicht cool. Von mir.“
„Kein Problem. Ich hätte auch miese Laune, wenn ich wüsste, dass meine Schwester vergiftet ist. Wenn du willst, passe ich mich deinem Tempo an. Dann kommen wir weiter, ohne viele Pausen einzulegen.“ Offenbar bereitete ihm ihre Entschuldigung Genugtuung, denn er grinste sie schon wieder an.
„Wie alt bist du eigentlich?“, wollte die Hanabira stattdessen wissen. Ein lockeres Geplauder tat ihr jetzt gut.
„Bin vor ein paar Wochen 16 geworden“, antwortete er und stopfte sich den letzten Bissen seines Brotes in den Mund, trank noch ein Schluck Wasser hinterher und stand dann auf. 16 erst? Der war ja noch voll jung und Airika wurde bald 18…
„Und, wann willst du die Chuunin-Prüfung machen?“
„Nächsten Monat. Sehe das hier jetzt auch als eine Art Vorbereitung. Muss ja fit sein dafür.“
Auch Airika hatte einige Züge aus ihrer Wasserflasche genommen und stand jetzt ebenfalls auf ihren Beinen.
„Ich möchte eines Tages auch gerne Chuunin sein. Aber das dauert wohl noch ein bisschen.“ Ja, irgendwann war der Tag gekommen, an dem sie ihrem Vater ebenbürtig war und vielleicht sogar stärker wurde. Doch das dauerte noch. Lange.
Die beiden Ninja liefen nun etwas langsamer und nach zwei Tagen haben sie endlich das Reich des Flusses erreicht. Airka hatte sich trotz des gut gemeinten Angebots von Yasua bemüht, so schnell es ging zu laufen. Während der Stunden, die die beiden pausenlos liefen, kreisten ihre Gedanken um Yoshi. Wie es ihm wohl gerade ging? Er war jetzt nicht in unmittelbarer Lebensgefahr, aber sie wusste, wenn sie sich nicht beeilte, dass es bald so weit war. Seit drei Tagen lag der arme Junge bereits flach und sein Körper kämpfte um seine Vorherrschaft gegen diese Vergiftung. Airika hatte sich unterwegs einige Blasen an den Füßen zugezogen und musste widerwillig und zwangsläufig Rast machen, um ihre Füße zu verbinden zu lassen. Yasua war sehr geschickt und konnte den Verband richtig gut um ihre Füße wickeln. Die Hanabira schlief bei Nacht vielleicht nur vier oder fünf Stunden, weil sie von Albträumen und Unruhe geplagt. Yasua fand das natürlich nicht so prickelnd, dass sie nach so wenig Schlaf schon auf den Beinen stand. Aber auch ihm war die Notlage bewusst und ließ seinerseits keine Einwände zu.
Als sie endlich angekommen sind, atmete das Mädchen erleichtert auf. Berge umgaben die dichten Wälder und auf den Wipfeln bedeckte Schnee die Spitzen. Hier sollte diese Heilpflanze also wachsen? Die Mirantibus Flos fand man nur hier vor und das in recht üppigen Mengen. Nun war es an der Zeit, mit der Suche zu beginnen. Auch wenn ihr Körper nach einer längeren Pause bettelte, war die Angst um ihren kleinen Bruder zu groß. Bevor es mit der gezielten Suche losging, setzten sich die beiden Genin für ein paar Minuten hin und wechselten den Verband. Er war an einigen Stellen rotgefärbt und sie wusste, dass sie, wenn sie jetzt eine richtige Pause einlegte, gar nicht mehr aufstehen konnte. Ihre Füße brannten fürchterlich. Also stand sie nach der kurzen Behandlung wieder auf und marschierte weiter. Airika brauchte eine Woche frei, wenn sie wieder zu Hause war, um sich von den körperlichen Strapazen zu erholen.
Doch hätte Airika zu diesem Zeitpunkt gewusst, was in ihrer Reise noch auf sie zukam, wäre sie über ihre Begleitung extrem dankbar gewesen. Keine Sekunde hätte sie sich von ihm getrennt. Denn wer hätte denn schon wissen können, dass sie in den nächsten Stunden auf einen mächtigen Ninja traf, noch dazu einen Chuunin, der ihr haushoch überlegen war? Doch von all dem ahnten die beiden nichts und so standen sie nach ihrer kurzen Rast auf und machten sich dann endlich auf die Suche nach Mirantibus Flos. Auch wenn es die letzte Nacht ziemlich kalt gewesen war, war dieser Tag von einem klaren, mit kleinen Schäfchenwölkchen bestückten Himmel und Sonnenschein aus weißem Licht gesegnet. Überall hörte sie das Zwitschern der Vögelchen, das Zirpen der Grillen und sie realisierte, dass auch wenn Shirogakure sehr idyllisch war, diese Gegend definitiv etwas Anderes war. Sie hatte das Gefühl, dass die Natur hier viel unberührter erschien. Die Wege, die Yasua und Airika manchmal gingen, waren teilweise von der Natur zurückerobert worden. Die Kopfschmerzen, die sich in den letzten Stunden intensiviert haben, aber ließen nicht zu, dass sie den Anblick auch nur annähernd genießen konnte. Airika musste jetzt tapfer sein. Sie gähnte und schaute sich immer wieder am Wegesrand, um in der Hoffnung, dieses spezielle Kraut zu finden.
„Du brauchst gar nicht so hoffnungsvoll auf den Rand gucken, Airika. Die wachsen da nicht. Ao-Sensei sagte doch bereits, dass sie genau zwischen Berg und Wald zu finden sind.“
„Ich weiß, aber es könnte ja sein, dass sich hier was verirrt hat.“
„Das bezweifle ich stark.“ Blablabla. Besserwisser. Airika schwieg und die beiden kämpften sich durch den dichten Wald, der mit dornigem und hartnäckigem Gestrüpp nur so übersäht war. Es war nicht einfach, aber eine halbe Stunde später hatten sie tatsächlich den Rand erreicht.
„Ich sondiere mal eben die Lage und schaue, dass hier keiner in der Nähe ist. Dann können wir uns aufteilen und kommen vielleicht schneller an eine Mirantibus-Ader ran. Einverstanden? Du wartest hier, okay?“
„Klar…“ Als ob hier jemand war. Sie hatte in den ganzen zwei Tagen, die sie jetzt schon unterwegs waren, keine Menschenseele gesehen. Warum sollte das jetzt anders sein? Yasua war einfach viel zu vorsichtig. Der Junge marschierte also los und kam nach etwa zwanzig Minuten wieder zurück. Währenddessen hatte sich Airika auf die Wiese gesetzt und sich die Fotos der Pflanze angeschaut. Das Kraut hatte rosa Blüten und sie sahen sternenförmig aus. Kleine goldene Pünktchen verzierten die spitzzulaufenden Blütenblättchen. Sie prägte sich das Aussehen gut ein, damit sie das Kraut, falls sie das Foto aus welchem Grund auch immer verlor, sofort erkannte.
„Die Luft ist rein. Du gehst nach Osten und ich nach Westen am Fuße des Berges entlang, okay? In einer Stunde treffen wir uns wieder hier, ja? Wenn wir nichts finden, suchen wir an einer anderen Stelle weiter.“ Der Blonde verschränkte die Arme und schien in Aufbruchsstimmung zu sein.
„Gut, dann bis später.“
Und so wanderten die beiden Genin in die entgegengesetzte Richtung, in der Hoffnung, die Mirantibus Flos zu finden. Nichts ahnend, was dieser Tag für sie bereithielt…
@Hayabusa Ray