c.f. Haus der Familie Suzuya
Gerade noch so konnte Tamaki sich das Kichern verkneifen, als Ray direkt eine Standpauke von seiner Oma kassierte, noch bevor die Mission überhaupt richtig begonnen hatte. Natürlich war all das nicht ernst gemeint, sonst hätte der Suzuya kaum Anlass zum Lachen. Und Ray wohl ebenso wenig. Aber der junge Hayabusa spielte gekonnt mit und damit war alles gut. Das kleine Geschenk schien jedenfalls gut angekommen zu sein, was Tamaki insgeheim sehr freute. Zwar hatte er selbst nur wenig Anteil an der Fertigung der kleinen Köstlichkeiten gehabt, aber seine Oma hatte ihn dann und wann um Rat und Meinung gebeten, und so gestattete er sich auch ein kleines bisschen Stolz. Aus großen Augen nickte er Ray bekräftigend zu, als der Umeko versicherte, dass er die Spezereien ganz gewiss aufessen würde. Das sollte der Hayabusa wirklich mal tun und sich dann hoffentlich ein zweites Mal darüber freuen. Denn schmecken tat das alles auch noch – das wusste Tamaki aus eigener Erfahrung sehr gut.
“Na, das sind gute Voraussetzungen für heute.“, gab der Suzuya leicht grinsend zurück, als der Rotschopf mitteilte, dass er munter war wie ein Fisch im Wasser. Oder vielmehr wie ein Falke im freien Himmel ... Hoffentlich blieb das auch so, wenn sie die Slums erreichten. Tamaki erinnerte sich noch gut daran, wie Ray bei ihrem ersten Besuch in den engen, schmutzigen Gassen gelitten hatte. Aber er hatte sich damals durchgebissen und würde es heute wieder tun. Und Kaya? Das Rabenmädchen war einmal mehr sehr still und in sich gekehrt. Das musste nicht unbedingt etwas bedeuten und jetzt war so oder so kein guter Zeitpunkt, es anzusprechen, ohne Kaya bloßzustellen. Also schenkte Tamaki ihr ein warmherziges Lächeln, das versicherte, ohne zu bedrängen. Schließlich verstand sich das A-Team auch ohne Worte.
Und auch die nächste Reaktion, obwohl sie sehr deutlich ausfiel, blieb zunächst unausgesprochen. Der Name Jirokou Shunsui ließ Tamaki mitten im Lauf innehalten. Aus großen Augen, in denen eine Mischung aus Furcht und unguter Erkenntnis stand, sah er Ray an, setzte sich jedoch gleich wieder in Bewegung, um nicht den Anschluss an die kleine Gruppe zu verlieren. Schließlich hatten sie die Slums inzwischen erreicht und seine Oma konnte immer noch verdammt schnell sein, wenn sie wollte. Besser also, sie blieben dicht beisammen.
„Ich kenne Shunsui-“, setzte der kleine Genin gerade an, als Ray schon davonschoss. Erschrocken und gleichzeitig doch überrumpelt, rückte er näher an seine Oma heran, während Kaya längst die andere Flanke übernommen hatte und die Umgebung mit ihren scharfen Augen im Blick hielt. Erst als Ray wieder vor ihm landete, begriff Tamaki, dass sie gerade einem Unglück entgangen waren. Und als hätte die spontane Erinnerung an den verhängnisvollen Einsatz mit Shunsui und Kenta seine Gefühlslage nicht ohnehin schon in gefährliche Schieflage gebracht, war er nun vollends alarmiert. Wieder einmal trat die Ironie seines Bluterbes zutage. Denn die eigenen Gefühle beeinflussen ... das konnte ein Yagami nicht.
“Danke!“, stieß er zittrig aus und schaute Ray mit einem Blick an, der seine Dankbarkeit nur unterstrich. Ohne den Falkenjungen wäre das um ein Haar sehr, sehr schief gegangen. Kaya hätte vielleicht noch das Schlimmste verhindern können. Er selbst ganz gewiss nicht. Und das als Missionsleiter ...
’Reiß dich zusammen ... Sowas kann jederzeit wieder passieren!‘. Sacht und mit deutlicher Sorge nickte er auf Rays Bemerkung. Ja, es
würde wieder passieren ...
Tamaki blieb kaum Zeit, sich wieder zu sammeln, aber zu seinem Glück war die Aufgabe klar und das Team so gut eingespielt, dass keine weiteren Anweisungen notwendig waren. Der nächste Schreck ereilte den Suzuya bereits, als sie um eine weitere Ecke bogen.
SUSUYA HAU AB SONS- prangte es in rostroten Lettern an einer der windschiefen Hütten. Eine junge, kränklich gebeugte Frau mit einem Baby auf dem Rücken war gerade dabei, die Botschaft mühsam wegzuwischen.
“Baa-chan ... die meinen es wirklich ernst.“, raunte Tamaki seiner Oma zu, die nur mit schiefgelegtem Kopf auf das Machwerk blickte und abwinkte.
„Ach, die meinen bestimmt nicht uns.“. Tamaki biss die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien. So gern er seine Oma hatte – manchmal (und insbesondere heute) trieb ihr Optimismus ihn zum Wahnsinn. Die junge Frau war inzwischen auf den Trupp aufmerksam geworden und hatte ihr Werk unterbrochen. Mit dem Schmutzwasser der Gosse konnte sie ohnehin nicht viel ausrichten.
„Ihr seid Suzuya Umeko-sama!“, stellte sie fest, ihr eingefallenes Gesicht eine Maske der Furcht. Tamaki stellte sich instinktiv vor seine Oma und bemerkte vor lauter Anspannung nicht, wie sich ein wohlbekanntes Kribbeln in seinen Augen ausbreitete. Der schwache, blaue Schein, der im Tageslicht kaum zu sehen war, glomm für den Bruchteil einer Sekunde stärker auf und verlosch dann abrupt.
’Was zum-?!‘. Hatte er sich jetzt schon so schlecht im Griff, dass sein Taragan von allein ansprang? Verdammt, das hier lief immer mehr aus dem Ruder! Er konnte nur hoffen, dass die scharfen Falkenaugen nichts gesehen hatten ...
Die junge Frau war derweil in respektvoller Entfernung stehengeblieben und verneigte sich. Sie wirkte beschämt.
„Es tut mir so leid, dass Ihr das sehen müsst ... Ich verstehe nicht, was die Leute antreibt! Wir ... Viele sind so dankbar für Eure Hilfe!“. Das Baby auf ihrem Rücken begann leise zu quäken.
„Na na, meine Gute. Alles halb so wild.“, beschwichtigte Umeko die aufgebrachte Frau und trat selbstvergessen auf sie zu, um ihr die knochige Schulter zu tätscheln.
„Tama-chan, gib mir mal den Korb.“. Aus seinen Gedanken gerissen, sprang der Angesprochene sofort wieder an die Seite seiner Oma. Nach kurzem Wühlen förderte die alte Dame einen ganzen Ring geräucherter Würste und einen halben Laib Hartkäse hervor und reichte ihn der jungen Mutter.
„Du isst jetzt erstmal ordentlich und kommst später auch in der Suppenküche vorbei. Ja?“. Fassungslos starrte die Frau auf das Essen und nickte hastig.
„D-danke, Umeko-sama. Ihr seid zu gütig, Umeko-sama.“. Gerade wollte sie sich zurückziehen, als Tamaki einen Schritt nach vorn tat.
“Wartet! Kennt Ihr die Leute, die das da gemacht haben?“. Wie es schien, war Tamaki nicht der einzige, der über alle Maßen angespannt war. Die junge Frau zuckte zusammen und senkte mutlos den Kopf. Auf der Unterlippe kauend blickte sie auf den Schatz in ihren Händen und atmete tief durch.
„Vielleicht ... habe ich vorhin einen von Taros Jungs gesehen. Mit einem Farbeimer ...“, gestand sie leise.
“Beschreibt ihn uns bitte ... und auch diesen Taro.“, drängte der kleine Suzuya, dem das Dilemma der Frau aber nicht verborgen blieb. Wenn herauskam, dass sie andere Slumbewohner verraten hatte, würde sie hier einen schweren Stand haben. Aber vielleicht konnte Saki ein Auge auf sie haben, wenn es so weit kommen sollte ...?
“Wir wollen ihnen nichts Böses, aber wir müssen auch Umeko-sama beschützen.“. Die junge Frau nickte verstehend.
„Taro ist schon älter ... graue Haare, grauer Bart ... und eine Narbe auf der Wange. Sein Junge sieht ihm ziemlich ähnlich, aber ...“. Sie zuckte hilflos mit den Schultern.
„Ich kanns nicht gut beschreiben. Er ist nicht der Hellste und das sieht man ihm irgendwie an. Sonst ist er schwarzhaarig und seine Geschwister auch. Taro hat noch einen zweiten Sohn. Und eine Tochter.“. Eine Mutter gab es wohl nicht mehr, zumindest fand sie keine Erwähnung, bis sich die kleine Zusammenkunft wieder auflöste und ein jeder seines Wegs ging. Die junge Frau verschwand eilig in ihrer beschmierten Hütte und schloss die Tür fest hinter sich. Und das A-Team samt einer Oma und einer halben Wagenladung an Nahrungsmitteln? Das erreichte unversehrt von weiteren Vorfällen schließlich die Suppenküche, wo Katsuki sie schon ungeduldig erwartete.
„Na endlich seid ihr da!“. Entnervt warf der Koch die Hände in die Luft.
„Den ganzen Tag schon verschwinden hier Sachen oder gehen kaputt! Kümmert euch da mal direkt drum!“. Er war jedoch sofort besänftigt, als sein Blick auf Umeko fiel, die ihn vergnügt anlächelte.
„Das gilt natürlich nicht für Euch, Umeko-sama. Es ist mir eine Freude, Euch wohlbehalten zu sehen.“. Unter zahllosen Komplimenten geleitete Katsuki die alte Dame ins Innere der Küche und Ray, Kaya und Tamaki blieben erst einmal draußen zurück.
“Gehen wir mal lieber mit rein und sehen dort nach dem rechten.“. Schließlich würde seine Oma die meiste Zeit des Tages in der Küche verbringen.
“Danach kümmern wir uns um die beschädigten oder verschwundenen Sachen.“. Noch immer war der kleine Suzuya sichtlich durch den Wind, aber so ein Plan brachte doch ein gutes Stück an Sicherheit zurück.
@Hayabusa Ray @Hayabusa Kaya