War es nicht schon irgendwie erstaunlich, wie sich vor Teysaru die beiden so völlig unterschiedlichen Gesichter der Kunoichi, von einer Sekunde auf die andere, immer wieder die Klinke in die Hand gaben? Mittlerweile schienen diese so von Grund auf verschiedenen Emotionen auch noch ineinander überzugreifen, denn sie beschimpfte ihren Freund mit einem wirklich unfreundlichem Wort, aber in einem Ton, der dazu in der Lage war jedes Herz zu schmelzen. Erstaunlich daran war aber nicht, dass sie selbst in seiner Gegenwart völlig vergaß, dass sie sich veränderte, sondern dass er sie verstand und, so seltsam wie sie war, einfach akzeptierte. Auf der einen Seite machte sie dem großen Shinobi Mut und auf der anderen trampelte sie auf seinem Ego herum, als wäre es für sie nur ein kleines Spielzeug. Ob ihr dabei so bewusst war, dass er diese Art genoss und das auch irgendwie brauchte, um alles aus sich herauszuholen, war fraglich. Allerdings wusste sie, dass er ihr jedes Wort und jede Tat irgendwie schon verzeihen würde, denn sie hatte Teysaru nur selten, wegen ihr selbst, wütend erlebt und das war beispielsweise der Fall auf der Mission gewesen, als sie ihn mahnend daran erinnert hatte, dass er sich für sie nicht blind ins Messer werfen sollte, weil er auf Mission nicht ihr Freund, sondern ein Shinobi war. Ja, das war so ziemlich das einzige Mal, als sie ihn wütend erlebt hatte und zugegeben, so selten es auch war, diese Seite an ihm gefiel der Kunoichi auch nicht grade wenig. Sie mochte Teysaru als weinerlichen Untergebenen, der ihr jeden Wunsch, ohne mit der Wimper zu zucken erfüllen würde. Ja, sogar der, der ihr grade ohne zu zögern seine Hand überlassen hatte, obwohl er Angst vor der Reaktion seiner Mutter hatte. Tora wusste, dass er ihr ja eigentlich schon viel zu sehr vertraute, aber auf der anderen Seite… War das nicht berechtigt? Als würde sie ihm jemals irgendwas antun, ihn austricksen oder wahllos in Gefahr bringen. Auf der anderen Seite gefiel es ihr aber nicht weniger, wenn er sich mal zur Wehr setzte und seinen eigenen Kopf durchsetzte. Immerhin war er nicht nur ein kleiner Hund, sondern auch ein riesiger, starker Kerl, der ihr wahrscheinlich sämtliche Knochen im Körper brechen könnte, wenn er nur wollte. Doch das traute sie ihm natürlich nicht zu, denn er fürchtete sich ja mehr vor ihr, als sie vor ihm. Er sollte ruhig auch mal ein Mann sein und Tora etwas vorgeben. Ihr viel zu großes Ego brauchte hin und wieder auch mal jemanden, der sie in die Schranken wies… Auch wenn sie also so von Grund auf verschieden waren, reizten sie sich nicht ohne Grund, denn sie waren ein bisschen wie zwei Puzzleteile, die einander ergänzten.
So wunderte sie es auch gar nicht, dass er nach ihren eigentlich sehr harten Worten nicht etwa zu Boden ging und in Tränen ausbrach, sondern einen Gegenangriff startete. Diese Geste verstand sie wahrscheinlich besser als er dachte. Selbst wenn er eben noch ein Nervenbündel war, wollte er sich von ihr nicht alles gefallen lassen. Diese Sache machte sie irgendwie stolz auf ihn. Dass er zuvor jedoch rot wurde, wunderte sie nicht sonderlich, denn Tora war selbst ziemlich verlegen geworden, als sie ihn als ihren Mann bezeichnete. Das klang aber auch schon sehr merkwürdig oder? Erstaunlicherweise fürchtete sie in keiner Sekunde, auch in der, als er ihre Hand losließ, dass er nun wütend auf sie war. Dass er in seine Aussage noch ein Kompliment verstrickt hatte, schlug dem Fass irgendwie den Boden aus, denn es machte sie verlegener als sie gedacht hatte. Sein Lächeln ließ sie so rot werden, dass sie gut und gern im Boden versinken würde. Wie konnte er das so sicher sagen, wenn an dieser Stelle selbst sie stockte? Das war es, was sie an ihm so schätzte. Er sprach mit viel mehr Herz als Hirn, worum die Perfektionistin ihn in einigen Momenten, wie beispielsweise diesen, sehr beneidete. Nachdem die Stimme seiner Mutter erklungen war und ihr Freund sie wieder an die Hand nahm und mit sich zog, legte sie ihre schlanken, kalten Finger wieder um seine Hand und sagte lächelnd: „Wusste ich doch…“
Als er sie so durch die Bäckerei zerrte, sah Tora sich genau um. Ein schöner Ort, wie die penible Perfektionistin feststellte. Wer hätte von ihr anderes erwartet? Sie selbst war ja, mal abgesehen von ihrem Zimmer in ihrer Freizeit, sehr penibel und legte großen Wert auf Reinlichkeit. Immerhin legte sie ihre Anziehsachen immer perfekt falten- und fleckfrei an und darauf achtete sie mehr als genau. Mit ihrer Ausrüstung verfuhr sie ähnlich, an dem schwarzen Metallfächer konnte man bis heut keinen einzigen Kratzer erkennen, da er immer wieder fein säuberlich poliert wurde. Ja doch, da hatte sie viel mit seiner Mutter gemein. Neugierig begutachtete und merkte sie sich alles, denn sie hatte ja die Hoffnung öfter mal zu ihm kommen zu können. Bestimmt war es hier angenehmer als bei ihr zu Hause… Auf seine aufmerksame Anweisung auf der Treppe reagierte sie mit einem Nicken und ging voran. Einen Moment überlegte sie, warum er sie plötzlich vorangehen ließ, dann dachte sie jedoch, dass er nichts dabei im Kopf hätte. Jedem anderen hätte sie nun wahrscheinlich unterstellt, dass er hinter ihr lief, um unter den knappen Rock zu sehen, wenn sie die Treppe hochstieg. Aber ganz ehrlich… Teysaru würde lieber in die Sonne starren, bis seine Augen zu schmelzen, als mehr Haut von Tora zu sehen, weil er sonst in eine Schockstarre verfiel und keine Silbe außer einem mehrfach widerholten „Mi“, in einer unmännlich hohen Stimmlage, von sich geben konnte. Man konnte da nicht lügen, Tora kannte ihn wirklich gut. Auch das Haus war hübsch und es roch angenehm nach Tee. Teysaru benahm sich wie ein richtiger Gentleman, was fast erstaunlich war. Sie entledigte sich ihrer Schuhe und folgte ihm in das Wohnzimmer.
Erst dort angekommen, musterte Tora seine Eltern einmal richtig. Seine Mutter war klein, wirkte recht zerbrechlich, doch ihre Strenge war ihr anzusehen. Dennoch machte sie Tora keine Angst, denn sie war eine wesentlich schlimmere Mutter gewohnt. Dass das seine Mutter war, konnte sie sich dennoch schwer vorstellen, aber es war wohl die Mischung, die das ausmachte. Denn wenn man seinen Vater so betrachtete, dann wirkte der dicke, große Mann mit seinem Schnurrbart nicht unbedingt, als wäre er Teysarus Vater. Trotz einer gewissen Trägheit, strahlte er doch etwas sehr freundliches und herzliches aus. Auch wenn diese beiden Menschen so gar nicht zu dem Jungen passten, wie sie vom Aussehen allein her fand, empfand sie beide nicht als so schrecklich wie er. Immerhin waren sie alle beide bisher auffällig aufgeschlossen ihr gegenüber, es hätte sie viel Schlimmeres treffen können. Und dass ein Junge sich für seine Eltern schämte, war wohl sehr normal in dem Alter. Tora wusste das, kannte es jedoch nicht von sich selbst, da sie ihre Eltern ja seit vielen Jahren schon ernsthaft hasste… Ob ihm bewusst war, dass sie gar nichts Schlimmeres oder Schwierigeres hatte treffen können, als ihre Eltern? Immerhin leugneten diese, dass sie eine Tochter hatten…
Während sie lächelnd vor den beiden stand, erschrak sie fast etwas, als der Junge seinen Arm um sie legte. So mutig? Vor seinen ach so schrecklichen Eltern? Auch wie sicher er das sagte, brachte sie zum Grinsen, ein ernstgemeintes Lächeln, denn sie war erstaunt von seiner Sicherheit, vor allem auch, weil er dabei irgendwie so unfassbar stolz wirkte, dass sein Lächeln den Rahmen seines Gesichts zu sprengen drohte. Tora rückte ein Stück an ihn heran und verbeugte sich erneut vor seinen Eltern, aus reiner Höflichkeit machte man das doch sicher so, oder? Als sie wieder hochkam, musste sie über seinen Vater schmunzeln. Nicht nur was er sagte, sondern auch wie. Seine Worte waren irgendwie… knuddelig. Dass er sich danach etwas zu Essen rein schaufelte, unterstrich dieses Bild nur. Normalerweise mochte Tora solche Menschen wahrscheinlich nicht, aber die Tatsache, dass es seine Eltern waren, setzte ihr wohl eine rosarote Brille auf, weil es sie auch stolz machte, dass sie so akzeptiert wurde. Während sie noch über die Reaktion seines Vater sinnierte, schlug ganz plötzlich seine Mutter wieder mit einem theatralischen Seufzen auf. Dass sie Tora von Teysaru wegzerrte, wunderte sie gar nicht so sehr, wahrscheinlich weniger als ihn. Sie hatte bei der Frau mit Vielem gerechnet und war sogar erleichtert, dass es das war. Sie wusste nur nicht so recht, wie sie darauf reagieren sollte. Tora hatte nie jemand umarmt, mal abgesehen von Teysaru und vielleicht ihren Brüdern… Was tat man in einer solchen Reaktion? Auch umarmen? Vielleicht war das zu persönlich… Sie stand da, wirkte als würde sie gleich zerdrückt werden, ihre Arme baumelten nutzlos rum und sie lächelte so freundlich es ihr in ihrer Nervosität möglich war. Lieber sollte sie sich bemühen auf ihre Fragen zu antworten! „D-Danke. Ich bin fünfzehn Jahre alt u-und ich bin Kunoichi, daher kenne ich auch Ihren Sohn. U-Und er hat mich mal besucht und da…“ Ohje, wie sollte sie das seiner Mutter verklickern? Gott sei Dank unterbrach er den Redeschwall seiner Mutter. Ob sie ihre aufgeregte, leise Stimme überhaupt wahrgenommen hatte. Sie sah ihren Freund für einen Moment mit einem unfassbar dankbaren Blick an… Das musste sie erstmal wieder gut machen. „Oh ja, richtig!“, sagte sie bemüht lauter und kramte das kleine Päckchen hinter sich hervor. „Es ist nichts Besonders, aber ich dachte, dass ich nicht mit leeren Händen bei Ihnen erscheinen sollte. Ich habe ein paar Süßigkeiten selbst gemacht, wirklich nichts Besonderes, aber ich hoffe es gefällt ihnen.“ Plötzlich räusperte sie sich und blickte verlegen auf das Päckchen, denn nun musste sie etwas Peinliches sagen, ooooder. „Ehm, einige der Süßigkeiten sehen nicht ganz so gut aus.“, erklärte sie nun doch wieder sicherer. „Die hat mein kleiner Bruder gemacht, weil er unbedingt mithelfen wollte. Er mag Teysaru sehr gern, deswegen konnte ich ihn nicht davon abbringen.“ Zuckersüße Erklärung, nicht? Absolut erlogen. Tora hatte Kida angefleht, ja ernsthaft, so verzweifelt war sie, ihr mit einem Geschenk für seine Eltern zu helfen. Kida selbst hatte die Idee gehabt und Tatsache war, dass die hässlicheren Teile nicht von ihm, sondern von ihr stammen… Sie hatte für sowas weder die Nerven, noch das Talent. Aber das würde keiner ahnen, wenn sie von ihrem zuckersüßen, kleinen Bruder sprach. Hoffte sie… Sie streckte das Päckchen Teysarus Mutter entgegen, auch als kleiner Vorwand um höflicherweise ihren Umarmungen zu entkommen und lächelte strahlend und erwartungsvoll dabei.