Und jetzt kommen wir zur Preisfrage: Warum war ausgerechnet Yuto so praktischerweise vorbeigekommen? Es handelte sich hierbei immer noch um einen Medicnin, der aufgrund von Kayros’ nicht allzu schweren Verletzungen nicht unbedingt vorbeikommen musste, es aber trotzdem tat. Er wartete in den Schatten, bis Itoe verschwunden war, um auf den Plan zu treten und dem armen, gebeutelten Suna-Nin zu heilen und ihm Tee zu hinterlassen.
Es gab einen Grund, warum der Rotschopf ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt auf den Plan trat – er wurde gerufen.
Gehen wir noch einen Schritt zurück in der Zeit, zu einem Zeitpunkt, in welchem Itoe sich noch im Raum befand und den nächsten Raum ausspähte. Es sei dem geneigten Leser an dieser Stelle verraten, dass die verschiedenen Jounin und Chuunin, welche an diesem Examen als Prüfer teilnahmen, sich natürlich untereinander absprachen. In diesem unterirdischen Labyrinth gab es hin und wieder Räumlichkeiten, die so geheim waren, dass sie die Prüflinge unmöglich finden konnten – und in ebensolchen trafen sich die Prüfer, um sich zu organisieren. Bei solchen Treffen hinter verschlossenen Türen versuchte man zugunsten der Prüflinge, jedwede Feindseligkeit zu unterlassen und die Angelegenheit möglichst sachlich und emotionslos hinter sich zu bringen. Junko konnte da durchaus ein Lied von singen – sie hatte sowohl Kibo als auch Yuto demonstrativ ignoriert, war aber aufgrund organisatorischer Probleme in einen zeitlichen Engpass geraten. Sie hörte via Headset, dass die ersten Auseinandersetzungen bereits anfingen, während sie den Gang entlangeilte. Rasch rief sie sich die Route ins Gedächtnis und musste einsehen, dass sie wohl von ihrer Position aus am besten durch die Folterkammer ging, um an ihr Ziel zu gelangen.
Für sie war dieser Raum nicht halb so grausig, wie er für den etwas zartbesaiteteren Kiri-Nin erschien – für sie waren diese Instrumente nur morbide Dekoration. Jeder Mensch wusste, dass Folter ein sehr unzuverlässiges Mittel der Informationsbeschaffung war, und selbst wenn man diese auf etwas brutalere Art und Weise beschaffen musste, gab es immer noch bessere Methoden, als diese vorsintflutlichen Apparate zu Rate zu ziehen. Sie eilte durch die Kammer – und hielt inne.
Nanu, da lag doch jemand, und diesen Jemand kannte sie. Fast war sie schon ein wenig enttäuscht, ihn bereits in dieser frühen Phase des Examens in dieser Position aufzufinden. Irgendwie hatte sie von ihm mehr erwartet, aber was nicht sein konnte, konnte nicht sein, nicht wahr? Mit routinierter Stimme bat sie um einen Medic, unwissend, dass man ausgerechnet Iwamoto Yuto aufgrund dieser Anfrage herschicken würde und betrachtete sich den armen Suna noch mal genauer. Tsk, sogar den Großteil seiner Ausrüstung hatte man ihm abgenommen. Naja, wenigstens hatte der Räuber, der sich ohne Zweifel hinter der nächsten Ecke befand, ihm seinen Oberteil gelassen und ihm nicht noch zusätzlich die Klamotten vom Leib gefetzt. Trotzdem verschränkte Junko skeptisch die Arme und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Irgendwie nervte es sie dann doch, dass ihr werter Mitbewohner keine Perfektion in Sachen Examen aufwies.
„Weißt du, du könntest wenigstens zuhören, wenn man dir Ratschläge gibt. Immer und immer wieder habe ich dir und Ryoichi gesagt, dass ihr eure dicken Schädel benutzen sollt. Ryoichi hat zugehört. Und du? Ja, schau nur, wo du jetzt steckst. Wie konnte das denn passieren, hm?“
Ja, ehrlich. Ryoichi hatte gelernt, seinen Kopf einzusetzen und trug nun eine Chuuninweste. Und was war mit Kayros? Der hatte sich wieder einmal überrumpeln lassen, und das war langsam schon mehr als nur bloße Naivität.
„Ach Mist, du kannst mir ja nicht antworten, weil du bewusstlos bist. Macht nichts, es gab da ohnehin ein paar Dinge, die ich dir schon seit einiger Zeit sagen wollte: Du lässt wirklich nach.
Ja, das meine ich ernst. Früher warst du wenigstens zuverlässig und hast nicht nachgedacht. Jetzt bist du unzuverlässig und hast nicht nachgedacht. Wenn du wach wärst, würdest du bestimmt fragen, was mich zu dieser Annahme bringt, aber … ernsthaft!“ Hier rollte die Chuunin genervt mit den Augen, während sie fortfuhr.
„Ich weiß ja, dass Hiroshi dir wichtig war, aber … Himmel! Er ist tot, verstehst du? Tottotot TOT! Tee-ooh-Tee. Warum verstehst du das nicht? Das hier und jetzt ist wichtig und die Freundschaften, die du jetzt knüpfst, sollten nicht unter diesem Kerl leiden. Stell dir vor, es ist wirklich wichtiger, seine Kameraden zu heilen als irgendeinen Leichnam hübsch herzurichten. Erst betrügt er … warte, lass mich sehen. Sein Dorf, seinen Beruf, seine Freunde, seine Familie … also eigentlich alles, was sich in seiner Umgebung befindet. Warum er das gemacht hat, wissen wir immer noch nicht, aber er besaß auch noch die FRECHHEIT, seinen Tod kitschig idealisieren zu wollen. Damit macht man Menschen wie dich kaputt, und dieser manipulative Bastard *wusste* das.“
Schade, dass Kayros nichts dazu sagen konnte, weil er bewusstlos war. Tja, das ging Junko jetzt auch auf, während sie die Hände in die Hüften stemmte und den Kopf schief legte, um den Bewusstlosen noch einmal zu betrachten.
„Das sind alles Dinge, die du nicht hören willst, und der einzige Grund, warum ich sie dir noch nicht an den Kopf geworfen habe, ist folgender: Du bist einer meiner wenigen Freunde, auch wenn du manchmal ein Idiot bist. So, da hast du’s. Zufrieden? Ach, was rede ich hier überhaupt, du hörst ja eh nichts!“
Kein Grund, hier weiter zu verweilen. Frustriert und irgendwie unbefriedigt ging die Chuunin also von dannen, drehte um die Ecke … und musste erkennen, dass sie sich wahrscheinlich schon längst im Hyuuga-Radar befand. Dass Itoe sie hatte kommen sehen stand außer Frage, dass sie das ziemlich einseitige Gespräch von eben allerdings mitbekommen hatte, war etwas unwahrscheinlich. Abermals straffte die Chuunin die Schultern, als sie die Hyuuga vor der Tür rumkreuchen sah. Na, das nannte man doch mal Gelegenheit.
„Gehst du da heute noch durch? Wenn ja, bin ich direkt hinter dir. Stör dich nicht an mir, ich will einfach nur auf meine Position. Und nein, ich kann dir nicht helfen.“
Klare Ansage, oder?