Es ging alles ganz langsam, so wie in einer Zeitlupe. Eigentlich dauerten die nächsten Augenblicke nur wenige Sekunden, aber Rai kam es so vor, als ob es Stunden lang andauerte. Während Rai den Rand der Nebelschwade absuchte, begann er immer mehr zu verzweifeln – er fand sie einfach nicht. Was wäre, wenn sie tot ist? Was wäre, wenn bewusstlos ist? Was wäre, wenn sie in Gefahr ist? All diese Verantwortung schon beim ersten Leiten einer Mission. Falls den beiden etwas zustoßen sollte, dann war Rai dafür verantwortlich. Nicht nur, weil er der Anführer dieser Mission war, sondern es war auch sein Plan gewesen das hier durchzuziehen. Und genau jetzt fand er die erschöpfte und womöglich verletzte Pakura nicht mehr auf. Aber da, plötzlich vernahm Rai ein leises Krächzen, ein Krächzen nach Hilfe. Schnell drehte Rai sich in die Richtung aus der das Krächzen kam, zumindest glaubte er das.
„Pakura! Wo bist du?“ Wild drehte er sich um sich, suchte nach ihr und horchte nochmal hin. Und siehe da, sie schaffte es nochmal sich zu melden. Jetzt war Rai sich sicher und er rannte in die hoffentlich richtige Richtung. Zuerst suchte er nochmals den Nebelrand ab, dann wurde ihm aber klar, dass sie noch im Nebel sein musste, denn er fand sie hier draußen einfach nicht. Er hörte sie nochmal krächzen, nochmal um Hilfe schreien.
„Ich komme, bin gleich da!“, antwortete er ihr immer wieder. Das Adrenalin stieg immer mehr in seinem Körper hoch, das Blut schien zu stocken und der Herzschlag erhöhte sich so sehr, dass er glaubte sein Herz würde aus seiner Brust rausspringen. Nach wenigen Metern im Nebel, hatte er bisweilen noch nicht den Wasserrand erreicht. Wahrscheinlich hatte sie an dieser Ecke ein wenig an Wasser gespart, dass sie auch sicher wieder aus der Gefahrenzone kommen konnte. Und wie es den Anschein hatte, hatte sie das nicht geschafft, denn mittlerweile sah er die Silhouetten zweier Gestalten; eine lag am Boden und die andere kniete über der am Boden liegenden Gestalt. Schnell rannte Rai dort hin, nicht nur weil er vermutete, dass die am Boden liegende Gestalt Pakura war, sondern auch wegen seinem Sinn für Gerechtigkeit. Als sich der Nebel immer mehr lichtete und er den beiden Gestalten immer näher kam, konnte Rai feststellen, dass es sich hierbei wirklich um Pakura und einen unbekannten Mann handelte – wahrscheinlich ein Bandit. Blitzschnell versuchte der Takeshi – auch bekannt als Hobbystratege – die Situation zu analysieren. Scheinbar haben die beiden gekämpft und der Bandit hatte die Oberhand übernommen. Rais Schützling hatte ein Senbon in der linken Hand, welche vom Knie des Angreifers zu Boden gedrückt wurde. Allem Anschein nach ging der Meteki die Kraft aus, denn der Bandit schlang seine Finger um ihren Hals und begann sie zu würgen. Aus den krächzenden Hilferufen wurden nur mehr röchelnde Geräusche. Und da schaltete sich jetzt Rai ein; ein wurde immer schneller, sprang dann ab, mit dem Ziel, den Banditen von seiner Kameradin runterzukriegen.
Das gelang ihm auch. Der Aufprall war schmerzhaft, wahrscheinlich für beide Parteien. Rai klammerte sich an seinen Kontrahenten und ließ ihn nicht los. Die beiden rollten quer über das mittlerweile feuchte Gras. Als das Duo langsamer wurde, versuchte Rai sich mit aller Kraft auf seinen Gegner zu werfen, um die gleiche Ausgangssituation wie gerade eben zu erhalten – nur umgekehrt. Der Bandit wollte dies nicht zulassen, was auch klar war. Deshalb war es nur selbstverständlich, dass dieser ich auch wehrte und dagegen drückte. Aber das Blauhaar schaffte es, die Oberhand über diese Situation zu gewinnen. Jetzt war er dran. Er kniete nun über seinem Gegner, bereit jeglichen Angriff zu kontern. Den rechten Faustschlag wehrte er locker mit seiner rechten Hand ab, beförderte diese dann auf den Boden und platzierte sein rechtes Knie auf diesem Arm. Der darauffolgende linke Kinnhaken kam unerwartet, aber zu langsam für Rai. Diesem konnte er ohne viel Aufwand ausweichen, indem er sich einfach kurz zurücklehnte. Dabei packte Rai mit seiner linken Hand zu, drückte den rechten Arm des Angreifers auf den Boden und platzierte auch darauf eines seiner Knie.
„Na, gefällt dir das? Wie ist es in so einer Situation zu sein?!“, schrie Rai ihn an. Was daraufhin folgte… darauf konnte er einfach nicht stolz sein. Abwechselnd schlug er auf den am Boden liegenden Gegner ein. Einmal die linke, einmal die rechte Faust. Dabei zielte er immer wieder auf das Gesicht, bis der Typ nicht mehr wiederzuerkennen war. Schließlich hörte Rai damit auf, schnellte aber dann in eine seiner Werkzeugtaschen und holte ein Kunai hervor. Dieses hielt dem wehrlosen Mann an den Hals. Jetzt trat er ihm ganz nah heran, flüsterte ihm ins Ohr:
„Weißt du, ich könnte es jetzt einfach beenden. Du hättest es sogar verdient – du wolltest sie gerade eben töten. Wieso sollte ich dich jetzt nicht auch töten? Das wäre doch nur fair, oder nicht?“ Rai umklammerte sein Kunai immer fester, so fest dass seine Knöchel schon weiß wurden. Die abgeschürfte Haut an den Knöcheln pulsierte, tat ihm weh. Das war ihm in diesem Moment allerdings egal – immer näher rückte er mit der Klinge. Wie in Rage hob er das Kunai in die Höhe und ließ es nun schnell runtersegeln. Genau dieser Moment war entscheidend und nun verlief für den Takeshi alles wie in Zeitlupe. Sollte er das Leben des Banditen beenden? Definitiv sah Rai die Angst in seinen Augen – er hatte Todesangst. Ein wenig paradox war das schon, so wollte der Typ gerade ein Leben beenden, hatte aber selbst Angst vor dem Tod. Rai war so stark in Rage versunken, dass er zuerst wirklich die Intention hatte, diesen Mann zu töten. Aber plötzlich erinnerte er sich an seinen ersten Mord und an die damit verbundenen Gefühle. Deshalb entschied er sich schlussendlich dagegen und er versank sein Kunai in der feuchten Erde. Sichtlich erleichtert darüber, änderte sich sofort der Blick des Mannes, der gerade eben noch dem Tod entkommen ist. Rai packte nun das Gesicht des Banditen und flüsterte ihm nochmals etwas zu:
„Denk drüber nach, was es heißt zu leben. Das was du hier machst ist ehrenlos und einfach nur scheiße. Hast du keine Frau, keine Kinder? Ist mir auch egal… Wenn ja, dann sei für sie da und beende das hier. Und wehe ich sehe dich nochmal irgendwo mit solchen Typen herumlungern.“ Mit einem Kinnhaken schlug Rai ihn nun bewusstlos und beendete somit diesen einseitigen Kampf.
Rai erhob sich nun von diesem reglosen Körper, den er zuvor malträtiert hatte. Um sich nun einen Überblick um die Umgebung zu verschaffen, blickte er sich um. Da sah er die Meteki, wie sie noch immer kraftlos am Boden lag. Als er sich wieder ein wenig gefasst hatte, ging er zu ihr rüber und half ihr langsam und fürsorglich auf. In ihrem defusen Zustand, versuchte sie sich zu bedanken, brachte aber nur ein paar Buchstaben hervor.
„Komm, das war doch selbstverständlich. Jetzt suchen wir Ray und bringen dich ins nächste Krankenhaus.“, versicherte er ihr. Als die beiden sich auf den Weg machten, um den noch jüngeren Schützling zu suchen, wurde Pakura momentan immer schwerer und Rai musste immer mehr Kraft aufwenden, um sie sicher zu Ray bringen zu können. Nach einigen Minuten und nach einigen Momenten, in denen Rai dachte, dass er sie jetzt fallen lassen müsste, fand er schlussendlich Ray, der seelenruhig beim Trailer wartete – vor ihm lag ein bewusstloser Banditenanführer.
„Wow, gute Arbeit. Jetzt musst du mir aber mit ihr helfen. Sie hat sich im Kampf zu sehr verausgabt und braucht dringend medizinische Hilfe.“, meinte er zu Ray, welcher ihm auch sofort unter die Arme griff – wohl eher ihr. Gemeinsam machten sich die drei wieder zurück auf den Weg nach Sôhon.
Nun, da waren wir, am Ende dieser Mission. Wenn Rai diese jetzt reflektieren sollte, dann würde er sagen, dass er sich das alles ganz anders vorgestellt hatte. Es begann alles schön im Rahmen dreier Personen, die sich in einer Art Gasthof trafen. Der Takeshi konnte Ayane von Anfang an nicht leiden, so kam es ihm irgendwie gut, dass sie schnell weg musste und er die Führung übernehmen sollte. Zuerst war er geschockt darüber gewesen, konnte sich aber dann doch irgendwie in der Anführerrolle wiederfinden. Das Banditenlager wurde schlussendlich ausgemerzt, was am Anfang wohl eher ganz anders geplant war. Aber hierbei verzichtete der Takeshi auf einen Anschiss, denn auch er konnte sich nicht mit Lorbeeren loben. Als die drei im Krankenhaus angekommen waren, brachten die zwei Genin, das weibliche Glied in der Kette zur Aufnahme. Da die beiden und vor allem Rai, sich verantwortlich fühlten blieben sie noch hier und warteten darauf, dass sie die Meteki endlich besuchen konnten. Das ist aber eine andere Geschichte und somit beendete Rai diese Mission, indem er einen Brief an die Dorfverwaltung schrieb:
Mission erfolgreich beendet.