» Arizuka - Armenviertel
Irritiert wedelte Raku den Rauch, der um Chinatsus Kopf herumwaberte, weg und blinzelte verdutzt, als sie auf diesen
unglaublichen Einfall kam. Das Mädel war ein Genie.
"Achwas. Echt?" Seine vollkommen ohne Betonung ausgesprochene Überraschung war allerdings genauso ignoriert worden wie die Tatsache dass er das gleiche ja eben schon einmal gesagt hatte - und Rakus heller Haarschopf wippte ein wenig, als er halb den Kopf schüttelte, halb nickte. Der junge Mann war sich nicht sicher, ob er Chinatsu wirklich mit dieser Aufgabe betreuen wollte, aber letztlich hatte er kaum eine andere Wahl. Sie war die Leiterin dieser Mission und trotz der Tatsache, dass er Chinatsu nicht unbedingt als Führungsperson wahrnahm: Auf dem Brief der Verwaltung hatte ihr Name gestanden. Ende der Geschichte.
"Aye", antwortete er flapsig und zog seine Kleidung ein wenig zurecht, folgte dann in Richtung von Naoko, in der absoluten Überzeugung, dass Chinatsu jetzt einfach sagen würde, was Sache war. Immerhin war das die logischste Vorgehensweise, direkt und ohne Zwischenwege. Dann aber der Befehl: Er sollte das Mädel packen. Äh... okay? Raku warf einen kurzen Blick zu Chinatsu, zuckte dann wieder leicht mit der Schulter und trat einen weiteren Schritt auf Naoko zu und sah sie kurz mit ausdruckslosem Gesicht an.
"Ihr kennt das ja schon, Okumura-san... allez-hop!" Mit diesen wirklich wenig gefühlvollen Worten wuchtete er sie wieder auf seine Schulter und spürte jetzt schon, dass er heute Abend Verspannungen haben würde. Denn natürlich fing Naoko wieder an um sich zu schlagen und zu zetern, aber jetzt hatte sie ja ihre letzten Verbündeten verloren und Raku tat es fast ein wenig Leid, aber irgendwie war es ihm auch Schnuppe.
Er wusste ja wohin das führen würde. Überzeugt nickte er auf Chinatsus dramatische Rede und war überzeugt, dass das eigentlich wirklich das war, was sie hätten tun sollen, ob Goro nun der Lover war oder auch nicht.
"Stillhalten bitte, Okumura-san, ansonsten tut Ihr uns beiden weh", ließ er hören, dann lief der seltsame Tross los - in Richtung Reichenviertel.
Kaum waren sie aus dem Ameisenhaufen heraus, wurde es ruhiger, weiter, entspannter, weniger stinkend und überwältigend. Natürlich wichen die Hochhäuser nicht sofort den Nobelvillen, aber die kleineren Mehrfamilienhäuser hier waren schon deutlich gesetzter. Naoko war nur noch am Heulen und Raku hätte das auch gern getan, aber er entschied sich einfach dafür, dass er für heute keine Lust mehr auf Gefühlsregungen hatte. Es war vorhin schon weit über seine Befugnisse herausgegangen... und seine persönliche Komfortzone sowieso.
"Hasekura-san, wir sollten gleich da sein", meinte er, während sie jetzt nur noch im zügigen Schritttempo durch die Straßen schritten.
"Wieso seid ihr so... so gemein", heulte Naoko leise, jetzt irgendwie halb auf seinen Rücken und seine Schulter, so dass er mittlerweile zu seinem Schweiß auch noch Tränen spürte. Widerlich.
"Hasekura-san, du schuldest mir ein Bad auf Shiro-Kosten", stellte er trocken fest und ignorierte die verzweifelte Braut, die jetzt immer mehr erschlaffte. Ihr Make-Up war verschmiert und ihr Kleid dreckig, verrutscht und verschwitzt. Sie sah
fantastisch aus - naja, jedenfalls wenn man es denn ein wenig verruchter mochte. Raku selbst mochte es ohne Körperkontakt und wollte sie nur noch absetzen. Kurz vor dem Haus der Okumura machte er das auch, hielt sie aber an ihrem Schlawittchen weiterhin fest.
"Die Feierlichkeiten beginnen bald", meinte Raku und sah in Richtung Sonne.
"Ich denke, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren", ergänzte er und trieb Naoko wie ein Schaf weiter - jetzt in Richtung der Maki-Räumlichkeiten. Aus dem Vorgarten tönte bereits fröhliches Geplapper, die meisten Gäste schienen schon eingetroffen zu sein, wenn Raku richtig schätzte. Brr. Alles, nur nicht an so etwas teilnehmen.
"Airi?" Eine Stimme schwebte durch die Luft, traf nicht nur auf Chinatsus und Rakus Ohren, sondern auch auf Naokos - die plötzlich so steif stand, als hätte man ihr einen Besenstiel in den Allerwertesten gerammt. Sie drehten sich um - alle - und da stand Goro, in seinem Kapuzenpulli, die blonden Strähnen unter der Kapuze hervorguckend, und verdutzt zu Chinatsu und Raku sehend.
"Was soll das?", fragte er, konnte sich kein Reim auf die Situation machen. Dann aber kam er auf das Trio zu, drückte Raku und Chinatsu beiseite und stellte sich schützend vor seine, äh... ja, was eigentlich?
"S-Saburo! Was machst du hier? D-du..." Naokos Stimme war beinahe nur ein Flüstern, so erstickt klang sie, aber dann warf sie sich ihm um den Hals und fing nur noch mehr an zu flennen.
"W... was-" "'s t-tut mir so Leid", schluchzte sie und der Bräutigam, der im Moment auch noch nicht so wirklich wie einer aussah, schien verwirrt, aber drückte 'Airi' an sich. Sie sog seinen Duft ein und Raku hätte kotzen können. Konnten die mal zu Pötte kommen? Sein Fuß tappte unwillkürlich auf dem Boden, während sich die beiden nach und nach erst mal anfingen Dinge zu sagen die in vier Wände gehörten - alles drum und dran.
"Sag mal", schnauzte Raku und blöhkte die beiden Schwachmaten genervt an.
"Seid ihr so blöd oder-", fuhr er fort und hätte beinahe wieder angefangen zu schimpfen, da wurde er von Papa Okumura unterbrochen.
"NAOKO!", rief er leise (wie er das schaffte, wusste Raku nicht genau) - aber wohl nur um die Gäste nicht aufzuregen.
"Da bist du ja - oh, Goro-san? Äh..." Der ältere Mann aus der einen reichen Familie kratzte sich an der Wange, ignorierte die offenen Münder von Naoko und Goro, die immer noch aneinander hingen, zerrte seine Tochter dann mit sich.
"Du kommst jetzt mit, du siehst ja aus als hättest du dich im Dreck gewälzt - du kannst dich auf was gefasst machen, Frollein! Keine Widerrede", raunzte er und verschwand schneller mit seiner Tochter, als man gucken konnte. Das einzige, was man noch hörte, war ihr Protestieren, was aber mehr verwirrt als alles andere klang. Raku rümpfte die Nase, als wolle er 'Bitteschön auch, der Dreck hat sein Bestes gegeben' sagen, aber es nur nicht wirklich tun. Keine Ursache!