Und schon wieder dieser unglaublich lange und peinliche Moment, mit dem der junge Nakamura bei jeder ersten Begegnung und Unterhaltung konfrontiert war. Er hatte schon viele Reaktionen auf diese Worte gehört. Die einen lachten, die anderen wurden wütend, weil sie dachten er würde sie verarschen wollen, dann gab es noch einige die peinlich berührt waren und er hatte es erstaunlicherweise sogar einmal erlebt, dass jemand diese Tatsache so interessant fand, dass er Moritaka so lang darüber ausfragte, bis dieser vor Scham in Tränen ausbrach. Rückblickend war es sogar für den Nakamura selbst schwer nachzuvollziehen wann diese Angst eigentlich begonnen und wo sie ihren Ursprung hatte, doch wenn all diese Gedanken durch seinen Kopf schwirrten, war es auch sehr schwer sich auf irgendwas zu konzentrieren. Moritaka dachte immer und zu jeder Zeit unglaublich viel nach. Die Gedanken in seinem Kopf zogen so schnell durch, dass sie kaum zu Ende geführt, geschweige denn erklärt werden konnten. Meistens waren es Fragen, Reaktionen und Deutungen von Dingen, die andere Menschen taten. Moritaka war schon immer ein sehr aufmerksamer und raffinierter Junge und dadurch, dass er als Kind lange Zeit so gut wie gar nicht mit Menschen sprach, die nicht zu seiner Familie gehörten, war er wirklich sehr kleinlich, was das anging. Er spielte immer eher eine passive Beobachterrolle, meldete sich selten zu Wort und selbst bei solchen Kleinigkeiten rollte er jedes Wort mindestens zehnmal über die Zunge, bis er es wirklich schaffte das winzige, gestotterte Wörtchen hervorzubringen. Im Vergleich zu früher war Moritaka viel erträglicher geworden, in seiner Kindheit war es nämlich sogar oft so, dass er zu dem Stottern noch zu Hyperventilieren anfing und ihn dann absolut kein Mensch mehr verstand. Eigentlich grenzte seine momentane Leistung schon an eine riesige Selbstbeherrschung, wenn man bedachte, dass er wirklich die kleinsten Bewegungen und Regungen vollkommen klar wahrnahm und zu analysieren versuchte. Natürlich war das zu viel für seinen Kopf… Gab es überhaupt ein Hirn, das so viele irrelevante Kleinigkeiten wahrzunehmen versuchte? Deswegen fiel dem Jungen schon immer alles viel leichter, wenn man ihn nicht ansah. So dachte er nur halb so viel nach, zerbrach sich nicht den Kopf über Blicke oder so etwas. Außerdem war es das Überschlagen seiner Gedanken gemischt mit Paranoia, welche ihn immer wieder dazu brachte in Panik auszubrechen, wenn Menschen ihn länger als wenige Sekunden anstarrten. Was für eine labile Persönlichkeit, huh?
Aber niemand konnte das so verstehen wie er, selbst wenn er es ausschweifend und genau erklären würde. Keine könnte das jemals nachvollziehen. Erstrecht nicht diejenigen, die sich nur vor ganz normalen Dingen, wie beispielsweise vor Verletzungen oder dem Tod, fürchteten. Menschen mit komischen Ängsten konnten komische Ängste schon eher nachvollziehen, aber Moritaka war noch nie in seinem jemanden mit derselben Angst begegnet, so häufig kam sie nun mal auch nicht vor. Ob ein solcher Mensch das verstehen könnte? Die meisten versuchten es ja nicht mal… Und was war mit Susumu? Bisher war der Junge ein sehr freundlicher Kerl gewesen, welcher von sich aus auf den Nakamura zuging, wobei er sich bei diesem Gedanken schon wieder den Kopf darüber zerbrach, wieso man genau auf ihn zuging. Sah er einsam aus? Wirkte er hilflos? Wollte man ihn ärgern? Und nur solche Dinge gingen dem Jungen durch den Kopf, aber Susumu wirkte bisher nicht so, als würde er dem Nakamura irgendetwas zu Leide tun wollen, sonst hätte er schon lange etwas gesagt. Immerhin war es nicht seine Angst, die seine Unsicherheit ausstrahlt. Moritaka war ein wandelnder, labbriger Klumpen vollgestopft mit Unsicherheit, Angst und Nervosität, was er ganz eindeutig auch ausstrahlte. Das sah man an jedem Stück des Jungen… Der Blick, die Haltung, die Klamotten und, und, und… Er war schon ein ziemlich armes Würstchen… Aber gut, dass es dennoch Menschen gab, die auf ihn zukämen, sonst würde er sich noch mehr von der Menge weg isolieren. Und erneut bewies der Kinzoku, dass er einen ziemlich guten Kern hatte. Immerhin schien er Moritaka mit seinen Worten trösten zu wollen. Der unsichere Shinobi musste sofort etwas schmunzeln. In seiner Arbeit steckte also mehr, als in der der anderen? Das würde er seinem Bruder mal zu gern unter die Nase reiben, immerhin war dieser fest davon überzeugt, dass Moritaka nur zu blöd für das Erbe war und es noch entdecken musste, weswegen er ihn immer damit triezte, dass er sich nur mehr bemühen müsste und so weiter. Dabei war für den Nakamura schon lang klar, dass es da keine Hoffnung gab. Aber er war auch ohne dieses Erbe stark genug! Zumindest würde er das mal werden, hoffte er…
Kurz darauf sprach der Junge ihn darauf an, dass er es okay war, wenn er nichts mit Handwerk zu tun haben wollte, war wohl auch wirklich besser so. Im Gegensatz zu dem Kinzoku, welcher von Natur aus ein Talent dafür hatte, hatte Moritaka das nicht. Seine Hände waren schmal und zerbrechlich und schon am Papier schnitt er sich manchmal die Finger auf. Man sollte sich mal vorstellen, wie das wohl aussähe, wenn Moritaka einen Hammer in die Hand bekäme. Er wurde ihn wahrscheinlich sofort fallen lassen, weil er diesen nicht einmal hochhalten kann und sich dabei die Hand zerquetschen… Armer Kerl. Als er nach dem Kranich fragte, musste Moritaka lächeln. Der Kranich war seine Lieblingsfigur, weil ihm diese sein Vater gezeigt hatte. Da hatte der Kinzoku eine gute Wahl getroffen. Doch bevor es soweit war, dass Moritaka ihm dies zeigen konnte, kam noch etwas dazwischen… Ein leises Prusten verriet eindeutig, auf was der Kinzoku reagierte. Ein zittriges, verlegenes Lächeln bildete sich auf den Lippen des Nakamura. Nur keine Panik kriegen, dann wird schon alles gut. Moritaka blickte nicht auf, den Gesichtsausdruck hatte er oft genug gesehen. Es machte ihn immer unglaublich verlegen, wenn sie so darauf reagierten. Eine Reaktion war aber erstaunlich locker, auch wenn er ihm wahrscheinlich gar nicht richtig glaubte, aber das kannte der Junge schon. „Danke.“, sagte er sehr knapp und wandte den Blick kurz auf seine Füße, um nachzudenken. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und stammelte etwas eingeschüchtert: „K-Kein Pro-Problem… D-Das höre ich ö-öfter…“ Etwas beklemmt verschränkte er die Arme vor der schmächtigen Brust. „W-Weißt du wie viele lächerliche Ä-Ängste es eigentlich gibt?“, begann er um vom Thema abzulenken. „A-Also m-manche Leute fürchten sich vor Insekten, Mäusen, der Dunkelheit oder so-sogar vor ihrem ei-eigenen Schatten o-oder vorm Sprechen. S-So etwas i-ist leider ziemlich real.“ Seufzend zog er ein Blatt Papier aus der Tasche und streckte es ihm entgegen. „W-Wenn man damit u-umzugehen weiß, i-ist es ganz er-erträglich.“ Nachdem er dem Kinzoku ein Blatt Papier gegeben hatte, nahm er sich selbst eins, um es vorzuzeigen. „S-Sieh auf m-meine Hände.“, wenn er etwas vormachte, machte es ihm gar nichts aus, wenn ihn jemand ansah, denn da machte es Sinn und außerdem gab es nichts, was der Nakamura besser beherrschte. „D-Der Kranich i-ist sehr einfach, sogar schon K-Kleinkinder können i-ihn lernen.“ Relativ langsam machte er die Figur vor und blickte auf Susumus Hände. „V-Verstanden?“ Er war nicht gut darin etwas zu erklären, aber Vormachen müsste okay sein, oder? Wenn nicht hatte er genug Papier, um es noch locker zwanzig Mal zu machen. Moritaka hatte in seinem Leben bestimmt schon mehr als tausend von den Dingern gebastelt…