Hayabusa Kaya
Well-Known Member
Es war nichts Neues, dass sie missverstanden oder sogar als Wurzel allen Übels von anderen deklariert wurde. Nicht ohne Grund hatte man ihr damals den Spitznamen des Rabenmädchens verliehen... Raben waren schöne, ausgesprochen intelligente und stolze Vögel; allerdings sah man sie als Boten des Unglücks und ihre Sichtung machte die meisten Menschen nervös, weil es nichts Gutes bedeuten konnte, wenn sie in der Nähe waren. Damals hatte ihr dieser Name schwer zugesetzt, heute trug sie ihn mit stolz, wie eine Rüstung: sollte man in ihr doch den Unglücksraben sehen, das Rabenmädchen, welches über den Dingen schwebte und ihre eigenen Ziele verfolgte. Es war traurig - immerhin war sie Kunoichi geworden um stark zu werden und andere beschützen zu können, doch sie brauchte keine Anerkennung von Anderen - das hatte sie früh lernen müssen. Im Endeffekt...war sich jeder selbst am Nächsten und flog allein. Nun...so allein war die junge Hayabusa gar nicht, immerhin hatte sie stets Saku an ihrer Seite und dafür war sie dankbar, auch wenn sie den Rabengeist manches Mal verfluchte. Aber auch er war ein Rabe... oder hatte er aufgrund ihrer Prägung nur die Form eines Rabens angenommen? Sie wusste es nicht und hatte sich auch nie tiefer gehend mit Geistern beschäftigt: ein Fakt, den sie nun bereute.
Wenn sie sich mehr mit Tiergeistern beschäftigt hätte - mit diesem speziellen Teil ihres Bluterbes - dann hätte sie wenigstens gewusst, wie sie nun verfahren musste. Stattdessen hatte sie sich von diesem Aspekt der Hayabusa gänzlich abgewandt, insofern es mit Saku im Schlepptau möglich war. Es gehörte sogar zu ihren persönlichen Prinzipien, zu ihrem Mantra, wenn man so mochte - dass sie sich von Geistern fern hielt. Aber sie konnte doch nicht einfach den Blick abwenden, wenn dieser Ort heimgesucht wurde...oder? Dank Saku wusste sie, dass die Tiergeister keinen realen Schaden anrichten konnten, sie konnten kaum Einfluss auf ihre Umwelt nehmen. Das klang vielleicht beruhigend für die Menschen, war für die Tiergeister allerdings umso frustrierender, sodass sich in vielen Zorn und Missgunst anstaute. Hatten diese negativen Gefühle genug Ausmaß angenommen, war es ihnen durch aus möglich sich bemerkbar zu machen. Eine Gänsehaut, ein kühler Luftzug für jene, die für diese Dinge empfänglich waren. Ein Unwohlsein, das deutliche Gefühl, unerwünscht zu sein, ein nagendes Unbehagen ... das Gefühl, beobachtet, verfolgt zu werden. All das konnte einen einschüchtern und sorgte dafür, dass die einst so gemütliche Bibliothek stark an Besuchern eingebüßt hatte. Und Kaya hatte das dumme Gefühl, dass dieser Zorn des Geistes nur mehr werden würde und noch mehr Besucher vertreiben würden: sie hatte dieser Geist zumindest bisher erfolgreich von hier fern gehalten.
Aber was sollte sie tun? Eine Art Besänftigung? Exorzismus? Was sollte sie bitte ausrichten können? Sie konnte den schemenhaften, dunklen Geist wahrnehmen, ihn sehen - dank ihres Falkenblicks - aber mehr auch nicht. Das letzte Mal so hilflos gefühlt hatte sie sich damals... als ihre geliebte Großmutter erkrankt war und schließlich für immer die Augen schloss. Und dieses Gefühl, was tief in ihr nagte, machte es ihr unmöglich an irgendwas anderes zu denken oder irgendwas anderes zu fühlen. Sie musste einfach irgendwas tun, allein um dieses Gefühl los zu werden. Und um die Bücherei zu ihrem alten Glanz zu verhelfen, damit sich hier wieder mehr Besucher einfanden und auch länger blieben: nicht nur um eilig ein Buch zu suchen, es zu finden, auszuleihen und dann schnell das Weite zu suchen. Eigentlich lud dieser Ort zum Bleiben ein ... wenn da nicht diese Präsenz wäre. Aber was sollte sie dagegen tun? Sie kannte sich nicht aus und wusste nicht ansatzweise was zu tun war. Aber hey - wozu war sie denn hier in dieser gewaltigen Bibliothek? Wo, wenn nicht hier würde sie vielleicht einen zweckdienlichen Text finden, vielleicht sogar ein Buch über Tiergeister, welches ihr weiterhelfen konnte? Oder sollte sie direkt die harten Geschütze auffahren und nach einem Buch über Exorzismus suchen? War das nicht zu übertrieben...? Außerdem waren Tiergeister ja nicht gleich Geister... die gabs doch eigentlich gar nicht. Oder... vielleicht doch? Bei dem Gedanken rannte ihr ein kalter Schauer über den zierlichen Rücken. So ein verfluchter...! Was sollte sie nur tun? Ihre Kameraden durfte sie da nicht mit reinziehen - sie wüsste auch gar nicht wie. Als ob ihr einer von denen glauben würde...abgesehen davon, durfte sie auch gar nicht darüber sprechen. So wollten es die wenigen, doch strikten Gesetze ihres Clans... der Falkenclan.. die Hayabusa. So ein verdammter Mist...
Shunsui; er würde ihr glauben... oder? Aber sie durfte ihm ja nichts erzählen... Aber... aber! Er würde ihr sicher helfen, ihr glauben schenken, dass das was sie taten einen bestimmten Sinn verfolgte und sie nicht völlig übergeschnappt war. Wenn sie jemanden vertrauen konnte, dann ihm - oder nicht? Anders herum... hatte sie erst heute Morgen - zusammen mit zwei anderen - von seiner Beförderung erfahren... warum war er damit nicht gleich zu ihr gegangen? Warum hatte sie nicht zuerst davon erfahren? Waren sie sich doch nicht so...nah, wie sie gedacht hatte? Bei dem Gedanken schmerzte ihr Herz; ein heftiger Stich in der Brust verschlug ihr den Atem und sie biss sich leicht auf die Unterlippe. Verdammt...! Das war echt eine ätzende Situation. Und jetzt war sie auch noch an den Empfang verband worden...hier konnte sie keine Nachforschungen anstellen und war auch noch auf dem Präsentierteller; noch schlechter hätte es nicht laufen können. Außerdem wollte sie mit Shunsui reden...an seiner Seite sein... stattdessen fand sie sich neben Joudan wieder. Nicht, dass sie dessen Gesellschaft nicht mochte; ganz im Gegenteil! Sie mochte und schätzte den Größeren - vermutlich sogar mehr als gut war... aber er war ihr gerade keine große Hilfe. Oder...? Konnte sie ihm vertrauen? Darauf vertrauen, dass er ihr helfen würde ohne große Fragen zu stellen? Das er ihr vertrauen würde...? Oder war das zu viel verlangt...? Wieder schoss ihr die Stimme ihrer Großmutter in den Sinn, wie sie ihr eingebläut hatte niemals mit irgendwem über Saku oder allgemein über die Tiergeister zu sprechen... verflucht....! Was sollte sie nur tun?
Unsicher welches Ziel sie damit eigentlich verfolgte, begann sie am Empfang herum zu wühlen und nach irgendwas zu suchen. Irgendwas, was ihr irgendwie helfen würde. Dabei machte sie auch vor den persönlichen Dingen des alten Mannes keinen Halt - das ging vielleicht etwas zu weit, aber sie wusste sich einfach nicht zu helfen und irgendwas musste sie doch tun...! Saku hockte auf dem Tresen des Empfangs und hielt aufmerksam Wache ob sich der fremde Geist versuchte zu nähern - auch der Rabe war in höchster Alarmbereitschaft. Joudans ausgesprochene Gedanken zu der Einteilung ihrer Aufgaben nahm sie daher nur am Rande wahr. "Vermutlich sieht er in uns mehr Muskeln als Hirn." stellte sie gewohnt trocken fest. Hoffentlich ging es Shunsui und der Prinzessin gut... und der Geist ließ sie ihn Ruhe. Insgeheim hoffte die junge Hayabusa, dass Sakus Auftreten und ihre Aufmerksamkeit gereicht hatten um den Geist vorerst in die defensive zu drängen. Vermutlich würde er... oder es die Situation auch erstmal aus sicherer Entfernung beobachten. Endlich hatte sie eine schmalere, etwas versteckte Schublade entdeckt; vermutlich hielt der Alte hier seinen privaten Kram auf. Kaya schluckte, auch wenn man es ihr nicht zutraute - gerade im Bezug auf die früheren Ereignisse des Tages - hatte sie sehr wohl Respekt vor der Privatsphäre anderer. Deswegen zögerte sie auch die kleine Holzschublade einfach ungefragt zu öffnen. Joudans ungewohnt aussaglose Ansprache kam ihr daher ganz Recht. Noch in kniender Haltung sah sie zu ihm auf und eine leichte Röte stahl sich auf ihre Wangen: Was?! Wie kam er denn ausgerechnet jetzt auf so etwas zu sprechen...? Und was sollte das heißen...? Er war gern mit ihr zusammen unterwegs...? Worauf wollte er damit hinaus...? Sie war ihm eine gute Freundin... was meinte er damit?
Welches Ziel auch immer er mit dem plötzlichen Geständnis verfolgte; er hatte sich zumindest ihre volle Aufmerksamkeit gesichert. Gerade als sie sich wieder erhoben hatte um ihm gegenüber nicht noch kleiner zu sein, als sie es eh schon war, traf sie sein alle entwaffnendes Lächeln. Dieser Chameur...!! verfluchte sie ihn innerlich, während ihre glühenden Wangen und Ohren jedoch verrieten, dass es sie dezent aus dem Kontext gerissen hatte. Sie wusste nicht, wie sie dem entgegnen sollte, sondern spürte nur deutlich wie ihr Blut und Hitze zu Kopf stiegen. Sie hatte mir so ziemlich Allem gerechnet...aber nicht damit! Ihre Hand hatte sich von der verdächtigen Schublade gelöst und sich nun stattdessen auf ihre Lippen gelegt, sie unterstrich ihre offensichtliche Überraschung. Es war das erste Mal, dass ihr neben Shunsui jemand sagte, dass er gerne Zeit mit ihr verbrachte oder ihre Gesellschaft schätzte - nein, das stimmte nicht...! Ray hatte es ihr auch schon mal gesagt. Aber das...war irgendwie etwas anderes gewesen. Vielleicht, weil sie verwandt waren...? Oder so? Sie wusste es nicht: jedenfalls war sie nun auf eine ganz andere Art und Weise überfordert; wie sollte sie reagieren? Was sollte sie erwidern? Ja - sie genoss es auch Zeit mit dem Größeren zu verbringen und sie würde wohl genau so weit gehen ihn als Freund zu bezeichnen ... oder? War er ihr Freund? Waren sie Freunde...?
Während sie ihm eine Antwort schuldig blieb, wechselte er das Thema und kam auf Shunsui zu sprechen: Aha...! Darauf wollte er eigentlich hinaus...dieser Fuchs. Langsam senkte sich ihre Hand wieder und lehnte sich leicht, ohne jeden Druck gegen den Rand des Tisches. Er wollte sie wohl aushorchen und mehr über ihre Verbindung zu Shunsui erfahren - unwillkürlich musste sie grinsen: Was für ein manipulativer Dachs er doch war...! Anerkennend sah sie zu ihm auf; immerhin wusste er was er wollte und das konnte sie akzeptieren. Doch ehe sie antworten konnte, öffnete der alte Mann die breite Eingangstür und ließ die ersten Besucher herein. Das war es jedoch nicht, was Kayas Aufmerksamkeit schlagartig in Anspruch nahm - Saku stieß sich plötzlich wie aufgescheucht vom staubigen Tresen ab und stieg in die schwere Lust empor - die aufgewirbelten Staubkörner glänzten im einfallenden Sonnenlicht beinahe wie kleine Sterne. Irgendwas hatte ihn aufgescheucht und dieses etwas ließ Kaya reflexartig zu Joudan aufschließen. Ohne zu zögern warf sie sich ihm entgegen um ihn vor dem, was kam zu beschützen - doch dieser unfassbar schnelle, wendige Schatten wich nicht nur den Sonnenstrahlen aus, sondern schoss auch knapp an Kayas Rücken vorbei an die hinter ihnen gelegene Wand. Dieser...Geist, dieses schemenhafte Geschöpf hatte es irgendwie geschafft ein Bild von der Wand zu reißen, welches nun scheppernd zu Boden krachte und dessen Glas lautstark zerbrach.
Kayas Hände hatten sich an Joudans Brust gelegt, ihr zierlicher, doch muskulöser Körper hatte sich eng an den seinen geschmiegt - wenn er ihr nicht entgegen gehalten hätte, hätten sie ob ihres Schwungs sicherlich eine ähnliche Bruchlandung auf dem Boden hingelegt. "Was zum?!" fluchte der alte Mann lautstark, es war sicher in der gesamten Bücherei zu vernehmen, wie er seine Stimme erhob: "Ist euch Turteltauben denn noch zu helfen?!" schimpfte er sichtlich beiquert. Einige der eintretenden Gäste wurden Zeuge von der vermeintlich ertappten Zweisamkeit und glucksten vielsagend. "Hört auf zu kuscheln und macht euch an die Arbeit...!" fuhr er fort und tapste in überraschend schnellen, wütenden Schritten auf die Beiden zu: "Seid Ihr denn von allen guten Geistern verlassen...! Stoßt mein Bild von der Wand...! Seht nur..es ist zu Bruch gegangen." mit bekümmerter Miene sah er über den Tresen hinweg auf den Boden. Kaya hatte gerade überhaupt keinen Kopf für die Peinlichkeit dieser Situation - ihr Interesse galt dem Bild: konnte es sein...? Hatte der Geist sie absichtlich darauf aufmerksam gemacht...? Fasziniert betrachtete sie das Portrait, welches hinter dem zerbrochenen Glas zu ihr empor sah: darauf war eine ausgesprochen flauschige, edle Katze zu sehen mit bemerkenswert gepflegtem Fell - es war auf dem ersten Blick zu sehen wie viel Liebe diesem Tier zu teil geworden war. "Meine arme Sissy..." nuschelte der Alte betrübt. Kaya hob das Bild behutsam auf und versuchte auf dem Weg zurück zum Tresen das Bild nicht nur genauer zu betrachten, sondern auch die einen oder anderen Scherben zu entfernen. "Ist das ihre Katze?" fragte das Rabenmädchen und reichte ihm das Bild: konnte es sein das...? "Nein. Das war mein Esel." zischte er empört und riss ihr das Bild aus der Hand, wodurch sie sich an einer der Scherben schnitt. "Au...!" fluchte die Hayabusa und steckte sich den Daumen reflexartig in den Mund um das aufkommende Blut direkt aufzufangen. Es war ein sauberer Schnitt, der nichts besonders tief war: aber am Finger blutete sowas halt immer recht gern. Obwohl es durch aus schmerzte, konnte sie sich gerade nicht darum kümmern - es war also seine Katze gewesen... "Meine arme...kleine...Sissy." Konnte es sein das?! Ihre tiefschwarzen Augen weiteten sich, während ihr Blick auf dem in der Luft schwebenden und stumm vor sich hin zeternden Raben Saku fiel: Konnte es sein das der Tiergeist, der die Bücherei heimsuchte, diese Sissy war...?!