Aus groß aufgerissenen Augen wurde Shunsui Zeuge davon, wie Sakaida Mai geopfert wurde. Das Schwert, welches auf ihren dünnen Hals hinabsauste, war nicht mehr aufzuhalten. Keine Geschwindigkeit der Welt, kein Jutsu von irgendwem würde sie noch erreichen und sie retten. Sie waren schlicht und einfach zu spät gekommen. Doch statt den roten Lebenssaft in alle Richtungen spritzen zu sehen, gab es ein grelles Leuchten und der Anführer zuckte elektrisiert hin und her. Von Mai keinerlei Spur! Was ging hier nur vor sich? Ehe der Blondschopf das seltsame Schauspiel vor sich zur Sprache bringen konnte, fühlte er, wie sich eine große Müdigkeit in ihm breit machte. Seltsam, dabei waren doch seine Ausdauerreserven nach wie vor gefühlt. Warum also schlossen sich seine Augen, wenn jede Ader in ihm danach schrie, sich in den Kampf zu stürzen? Die Schläfrigkeit konzentrierte sich nicht nur auf seinen Verstand, sondern breitete sich nach und nach in all seine Gliedmaßen aus. Würde es so enden?
*Nein!*, ertönte eine laute Stimme in seinem Verstand und er biss sich frustriert auf seine Lippe, die sofort aufplatzte und ein kleines Blutrinnsal sein Kinn hinabsandte. Doch selbst mit dieser Art von Schmerz gelang es dem Chuunin nicht, sich aufzuputschen und aus dieser Trägheit zu befreien. Die Augenlider wurden schwerer und schwerer, ehe sich Dunkelheit in seinem Verstand ausbreitete und er mit einem letzten Blick zu Joudan und Chinatsu zusammenbrach.
Als das Kai gewirkt war und das Genjutsu aufgelöst wurde, fühlte sich Shunsui so, als ob er gerade mit einem Eimer kalten Wasser aus seinem Schlaf geweckt wurde. Die goldenen Augen wurden schlagartig aufgerissen und der junge Mann sog hektisch die frische Luft in seine Lungen, die seinen Körper wieder mit wertvollem Sauerstoff versorgten.
„Entschuldigt, ich wollte euch nicht in den Bann dieser Technik ziehen.“, verkündete die verloren geglaubte Mai, die sich nun über sie alle gebeugt hatte. Scheinbar hatte sie eine Technik gewirkt, die sie alle hatte in den Schlaf fallen lassen. Leider kamen auch die ganzen Kuttenträger wieder zu sich, sodass sie alle keinerlei Zeit zu verlieren hatten. Bedächtig und langsam nickte der Jirokou der Sakaida zu, während er sie aus argwöhnischen Augen heraus anstarrte. Er sah nichts Ehrenhaftes im Einsatz von Genjutsu und Illusionen, musste jedoch widerstrebend zugeben, dass ihre Technik durchaus effektiv war. Sie alle wären wohl Opfer der wiedererwachten Nuke-Nin geworden, hätte Mai diese nicht mittels mehrere Blitze wieder zurückgeworfen. Shunsui schüttelte den Kopf, um den letzten Rest an Benommenheit loszuwerden und erhob sich schließlich vollends.
„Alles klar!“ Mit ihrem Befehl, dass sie niemanden hier am Leben lassen sollten, rannte sie offene Türen bei ihm ein. Der Drache in seinem Inneren schien noch etwas schläfrig und noch nicht ganz bei Sinnen zu sein, doch sobald das Adrenalin und das Blut durch seine Adern rauschte, würde auch er sich bestimmt wieder erheben.
Schon schoss Joudan wie von der Tarantel gestochen los und schlug auf seine Gegner ein – hätte er sie getroffen. Der Schlag besaß eine Menge Wucht, das musste Shunsui ihm lassen. Doch es wäre natürlich nützlicher, wenn er seine Gegner damit traf und nicht einfach vorbeischlug. Kopfschüttelnd, denn er hatte keine Zeit hinter dem Kushou aufzuräumen, wandte sich der junge Mann an die weißhaarige Kunoichi. Sie machte einen durchaus gefassten Eindruck – ganz anders als der bleiche Joudan, der nach wie vor den Eindruck machte, dass er jeden Augenblick zusammenbrechen konnte. Nüchtern bestätigte sie den Befehl ihrer Teamleiterin und teilte ihm schließlich mit, dass sie den Ausgang blockieren würde.
„Lass niemanden entkommen.“, teilte ihr der nickende Shunsui mit, der nach wie vor nicht in Fahrt kam. Das rauschende Blut, der gebrochene Damm in seinem Inneren, all der entfesselte Hass und Zorn, all das war nach wie vor nicht zurückgekehrt. Zumindest war er bei vollen Sinnen und konnte mitansehen, was die Hasekura damit gemeint hatte, dass sie ihre Waffen ständig bei sich trug: Blatt und Blatt löste sich von ihrem Körper und bildete schließlich eine gewaltige Elefantenform. Diesen schickte sie sogleich los und machte die nächststehenden Kuttenträger im wahrsten Sinne des Wortes platt.
Kurz beobachtete er die weißhaarige junge Frau in Aktion, ehe er sich selbst schließlich an die Arbeit machen musste. Einer der Kuttenträger war auf Schlagreichweite an ihn herangetreten und schlug zu. Dank der Unaufmerksamkeit und des kalten Motors des jungen Mannes, landete dieser Schlag sogar, grub sich in seine Wange und riss den Kopf von diesem herum. Shunsui schmeckte Blut in seinem Mund und drehte sich langsam zu dem Kerl um, der nun etwas verdutzt vor ihm stand, wahrscheinlich darüber, dass der Angriff keine sonderlich große Wirkung gezeigt hatte. Zumindest äußerlich gesehen traf dies zu, denn in seinem Inneren brodelte die Wut endlich wieder und der Drache brüllte erbost darüber, dass es jemand gewagt hatte, ihn zu schlagen.
Chīta! Der Jirokou legte das Gewicht auf sein hinteres Bein, während er mit dem Vorderen ausholte und seinem Gegner einen blitzschnellen Schlag gegen den Oberarm verpasste, was mit einem lauten Knacken und Knirschen belohnt wurde. Sein Gegner hatte keinerlei Chance, den Mund zu einem Schmerzensschrei zu öffnen, da der Blondschopf den Schwung seines Angriffs nutzte, um sich vom Boden abzustoßen und einen zweiten Tritt zu landen, der seinen Gegner durch die gewaltige Wucht durch die ganze Halle schleuderte und mit einem lauten Knacken die nächstbeste Steinwand küssen ließ. Eines stand fest, nach dem Tritt, würde der Kerl nie wieder aufstehen.
Mit seiner rechten Hand wischte sich Shunsui das Blut an seinem Mund und Kinn weg und spuckte schließlich noch etwas Blut aus seinem Mund auf den Boden.
*Das war wirklich nötig.*, sprach er zu sich selbst, während es wieder in seinem Kopf rauschte. Der Schmerz in seinem Gesicht hatte seine Sinne geschärft und seinen Kampfeswillen wieder ins Leben gerufen. Der Geschmack des Blutes wiederum weckte seine Lust, selbst welches zu vergießen. Sie würden hier niemanden entkommen lassen! Aus zusammengekniffenen Augen erblickte der Blondschopf jemanden, der sich im Chaos des Gefechts aus dem Staub machen wollte – scheinbar gab es noch einen anderen Ausgang, so wie sich der Kerl da an der Wand machte.
„Oh nein Freundchen, so nicht.“, murmelte er grimmig vor sich hin und schoss wie ein goldener Blitz auf den entsprechenden Kuttenträger zu. Gewaltvolle Schritte bohrten sich in den steinernen Boden und hinterließen sogar Fußspuren, derartige Kraft nutzte der Jirokou, um sich davon abzustoßen. Kurz bevor er seinen Gegner erreichte, drehte sich dieser um und sah den Blondschopf auf sich zukommen, weshalb er die Arme zur Verteidigung hochriss. Boom. Mit einem lauten Krachen traf der Schlag von Shunsui die Verteidigung des Mannes, der durch die Wucht des Schlages durch die Wand in den nächsten Raum geschlagen wurde. Scheinbar handelte es sich hier um eine versteckte Tür!
Den letzten Meter hatte der Jirokou im Sprung genommen, sodass er ebenfalls in den neuen Raum gefallen war. Schnell rappelte er sich auf und sah zum ersten Mal das Gesicht des Kuttenträgers, der keine Kapuze mehr über den Kopf trug. Ungläubig starrte Shunsui seinen Gegner an und fühlte sich dabei wie im falschen Film. Er kannte dieses Gesicht. Er hatte es vor einigen Monaten in den Akten gesehen, zu denen er endlich Zugriff erhalten hatte, nachdem er in den Rang eines Chuunin gehoben worden war. Es war Shingetsu Tensei, abtrünniger Ninja aus Soragakure … und einer jener Shinobi, die der junge Mann vor über einem Jahrzehnt gesehen hatte. Als seine Eltern ermordet worden waren. Die anfängliche Überraschung schlug schnell in blinde Wut um.
„Du hast meine Eltern umgebracht … ICH BRING DICH UM!“ Und ohne seinem Gegner die Möglichkeit einer Erwiderung zu geben, schoss der Jirokou auf ihn zu und bedachte ihn mit Schlägen und Tritten. Mehr schlecht als recht, gelang es seinem Gegner seine Angriffe abzuwehren oder ihnen auszuweichen – sicherlich war dies der blinden Wut des Blondschopfes geschuldet. Stück für Stück, drängte ihn Shunsui durch den Raum zu einer Treppe zurück und ehe man es sich versah, kämpften sich die beiden diese hoch ins nächste Stockwerk. Nach all den Jahren der Suche, all den Jahren der Planung, hatte er endlich jemanden gefunden, an dem er sich rächen konnte. Jemanden, der die Schuld daran trug, dass sein Leben so verlaufen war. Der dafür gesorgt hatte, dass seine liebenden Eltern aus seinem Leben gerissen wurden und einen kleinen und unschuldigen Jungen zum Sterben zurückgelassen hatten. Hier und jetzt konnte er endlich den Sinn in seinem Leben erkennen, die Zeit der Wahrheit war gekommen. Es handelte sich nicht mehr um Träume oder Überlegungen, eines Tages die Mörder seiner Eltern zu finden und sich auszumalen, was er mit ihnen anstellen würde. Seine Träume wurden endlich Realität.
Vermutlich hätte sich Shunsui nicht blind vor Wut auf seinen Gegner stürzen sollen, vor allem nicht, da es sich bei diesem ebenfalls um einen ausgebildeten Shinobi handelte. Aber für klare Gedanken gab es keinen Platz in seinem Verstand, lediglich für Hass und Wut auf die Person vor sich. Den Wunsch, ihr Schmerzen zuzufügen, auch wenn es nur ein Bruchteil dessen war, was er sein ganzes Leben lang hatte durchmachen und erleben müssen. Das alles führte leider dazu, dass der Taijutsuka seine Deckung fahrlässigerweise vernachlässigte, was seinem Gegner ganz und gar nicht entging. Mittlerweile im nächsten Stockwerk angekommen, sprang Shingetsu Tensei von ihm weg und formte einige Fingerzeichen. Ohne zu zögern, stürzte sich der Blondschopf schwer atmend wieder auf ihn und schlug zu – doch sein Angriff war ins Leere gegangen. Nach vollendeten Fingerzerichen war sein Gegner nämlich seinem Angriff ausgewichen und hatte seine Hände auf den Boden gelegt, aus denen nun ein gewaltiger Erdstachel hervortrat und den Oberkörper des Jirokou durchbohrte … zumindest fast. Im letzten Augenblick führten die ausgeprägten Reflexe des Chuunin dazu, dass er versuchte auszuweichen – mit mäßigem Erfolg. Der Stachel bohrte sich nach wie vor in seine Seite und trat aus seinem Rücken wieder aus, doch zumindest war sein Rückgrat nicht gebrochen.
„Ich habe zwar keine Ahnung, wer du bist ... aber das war’s Junge.“, ließ sein Gegner schwer atmend vertönen. All der rote Zorn in seinem Verstand wurde von Schmerz überflutet und ein schwarzer Schleier legte sich über seine Augen. Der Blondschopf war dem Ziel so nahe gekommen und doch war er gescheitert…
Als Shunsui erneut die Augen öffnete, befand er sich auf dem sandigen Boden eines Sees. Um sich herum war er von in Dunkelheit getauchtes Wasser umgeben, das Licht befand sich schwächlich und weit entfernt an der Oberfläche. Er war also wieder hier gelandet.
„Ist das etwa alles, was du zu bieten hast?“, meldete sich eine raue Stimme und Shunsui erblickte sein dunkles Ich. Von seinem hellen Gegenpart war keine Spur zu sehen. Hatte der Blondschopf wieder Hohn erwartet, starrte ihn die Dunkelheit lediglich … enttäuscht an?
„Du hast dich von deinem Weg abgewandt und sieh, was passiert ist. Du bist schwach geworden!“, warf ihm der dunkle Shunsui vor.
„Das Ziel befindet sich vor deinen Augen und doch hast du es aus deinem Blick verloren.“ Kopfschütteln. Das letzte Mal, an dem sich der Jirokou an diesem Ort befunden hatte, war ihm die Wahl nicht leicht gefallen, doch er hatte sich für das Licht und ein anderes Leben entschieden. War das etwa ein Fehler gewesen? Würde er in dem Gewissen sterben, dass sein Ziel zum Greifen nahe gewesen war und er auf den letzten Metern versagt hatte?
„Was … kann ich tun?“, fragte er sich selbst. Dunkelrote Seelenspiegel ruhten auf ihm, ehe sein dunkles Ich ihm seine Hand hinhielt.
„Nimm meine Hand und entfessel dein wahres Ich!“ Die goldenen Augen des realen Shunsuis betrachteten die ausgestreckte Hand und er zögerte, nicht sicher, was er jetzt tun sollte. Von dem Licht in seinem Inneren war weit und breit nichts zu sehen. Langsam hob er seine Hand, streckte sie aus und ergriff schließlich die ihm dargebotene Hand. Die kraftvollen Emotionen, die ihn überkamen, führten dazu, dass der junge Mann vor Schreck die Augen aufriss. Hass, Wut, Zorn, Zerstörung, alles kam zurück. Er schrie, und schrie und hörte nicht mehr auf…
Mit einem Brüllen erwachte Shunsui wieder zum Leben und ließ seine Faust auf den Stachel prallen, der unter der Wucht zerbrach. Tensei schaute ihn verdattert an, denn er hatte damit gerechnet, dass der Blondschopf ins Nirvana übergegangen war.
„Hachimon Tonko … KAI!“ Gewaltige Kraft durchströmte den Körper des Jirokou, während Adrenalin dazu führte, dass er die Schmerzen durch die große Wunde an seiner Seite nicht mehr spürte.
„W-was zum? Kannst du nicht einfach sterben, wie es sich gehört?“ Wieder schlug der Mörder seiner Eltern die Hände auf den Boden, nachdem er einige Fingerzeichen geformt hatte – doch die hervorgerufenen Erdstachel schlugen ins Leere, denn der Taijutsuka befand sich längst nicht mehr am selben Platz wie gerade eben. Verwirrt schaute sich der Kuttenträger um und entdeckte den Chuunin schließlich an der Decke. Der junge Mann hatte sich vom Boden abgestoßen und mit Schwung an die Decke befördert, von der er sich gleich wie ein goldener Pfeil abstoßen und auf den Gegner stürzen würde. Blut strömte aus seiner Wunde und es würde nicht lange dauern, ehe ihn alle Kraft verlassen sollte. Doch bis dahin hatte er noch einen Auftrag zu erfüllen. Die Faust zum Angriff geballt, machte sich Shunsui bereit.
„NICHT BEVOR DU DAFÜR GEZAHLT HAST, WAS DU MEINEN ELTERN ANGETAN HAST! DAS IST MEIN LEBEN WERT!!!“ Und damit stieß er sich ab und schlug seinen Gegner mit einer gewaltigen Wucht durch den Boden und landete mit einem lauten Krachen wieder in der Ritualhalle.
Staub und Splitter flogen umher und verdeckten kurz die Sicht das Geschehen. Als sich der Staub wieder legte, konnte man den Jirokou erkennen, wie er über dem toten Kuttenträger stand, der Blick unfokussiert und die Haut weiß durch den Blutverlust. Letztlich verließen ihn auch jegliche Kräfte und er ging zu Boden. Und obwohl sich die Dunkelheit über seine Augen legte und er spürte, wie ihn immer mehr seines Lebenssaftes verließ, breitete sich eine Ruhe in ihm aus, wie er sie nie zuvor verspürt hatte. Das konnte man auch an dem ehrlichen und zufriedenen Lächeln erkennen, welches sich auf dem Gesicht des jungen Mannes gebildet hatte. Nun konnte er endlich seinen Eltern begegnen, erhobenen Hauptes. Und mit diesem Gedanken driftete das Bewusstsein von Jirokou Shunsui ins Leere...
@Sakaida Mai @Kushou Joudan @Hasekura Chinatsu