Das war...falsch.
Er, Rakugaki, der Schlägertyp, der herzlose Eisenklotz, konnte nicht einfach neben einer fremden Frau hocken und sie anfassen. Er konnte nicht einmal neben seinem besten Freund sitzen und einen Arm um ihn legen, wenn sie sich einen Horrorfilm reinzogen und Akeno mit riesengroßen Augen Zuflucht suchte. Er musste Zuneigung von sich fernhalten, durfte sie nicht erwidern, weil er jedes Mal, wenn er soetwas versuchte, am Ende nur etwas mehr von seiner schwarzen Seele in sein Gegenüber trieb. Man hatte ihm eingebläut, dass er die Geißel der Welt war, nicht mehr wert als ein Haufen Dreck auf der Straße. Die Schuld, so sein Onkel, dass seine Mutter gestorben war, lag einzig und alleine bei ihm, weil er alle, die mit ihm in Berührung kamen, vergiftete. Rakugaki glaubte fest daran, dass die Behandlung, die er jahrelang jeden Tag über sich ergehen hatte lassen müssen, seine eigene Schuld war, weil er böse war. Nicht gemein oder hinterlistig, er war einfach böse, eine Seuche, die alle, die er mochte, am Ende nur tötete. Berührt zu werden war aus ganz anderen Gründen eine Qual für ihn, aber andere Leute zu berühren, von sich aus Körperkontakt aufzubauen, war vor allem mit einem Gefühl erfüllt: Angst. Er hatte Angst, etwas kaputt zu machen, Angst, dass er vergessen hatte, wie man jemanden berührte ohne ihm Schmerzen zuzufügen ... und er hatte Angst, fortgestoßen zu werden. Er fasste Akeno nur zu äußerst seltenen Gelegenheiten an, eben weil er sich so schrecklich davor fürchtete, dem Blonden könne etwas geschehen, was viel schlimmer war als die blauen Flecke, die er ihm hin und wieder bescherte. Er hatte doch nur ihn, durfte ihn nicht kaputt machen mit seiner unverbesserlichen Art. Und dann war da dieser kleine Mensch, dessen sanfte Bewegungen er unter seiner Handspürte, die er, nachdem er bereits aufgestanden war, mit auf den Lippen verbissenen Zähnen doch noch auf den Höhepunkt der gut sichtbaren Wölbung gelegt hatte, so vorsichtig, dass sicher der Flügelschlag eines Schmetterlings mehr Schaden hätte anrichten können. Das war gar nicht wie Körperkontakt, das war einfach ein kleiner Mensch, eine dünne Wand und ein großer Junge, dessen Augen irgendwie von etwas durchzogen waren, was er nicht genau einordnen konnte. Es war ihm irgendwie bewusst, dass er das kleine Ding da nicht hasste, obwohl er es ja gar nicht kannte und nichts damit zutun hatte, einfach, weil es unschuldig war. Es war die reinste, unbefleckteste Form von Leben, mit der er jemals die Chance hatte, Kontakt aufzunehmen, und obwohl er sich nicht wie Akeno traute, seine Handfläche auch nur einen Milimeter zu verschieben, aus Angst etwas kaputtzumachen, machte es ihn irgendwie glücklich. Es war ein bisschen, als hätte er den Kopf aus einem Zimmer gesteckt, in dem es jahrelang stockfinster gewesen war, und hätte zum ersten Mal in seinem Leben in die Sonne geschaut. Man hatte ihm keine Chance gelassen, die Unschuld zu bewahren, die er wohl auch zu diesem Zeitpunkt noch gehabt hatte, man hatte ihn böse gemacht, ihn zerbrochen, sobald er schreien konnte. Dieses kleine Kind war ein Ausblick darauf, wie er vielleicht gewesen wäre, wenn er jemanden gehabt hätte, der ihn liebte. Sicher hätte er dann nicht die knotigen Narben über den Fingerknöcheln, die er sich so oft blutig hatte schlagen müssen, vielleicht hätte er dann eine ganz normale Hand wie die von Akeno. Spontan beschloss Rakugaki, dass er, solange diese Mission dauerte, ganz besonders darauf achten würde, dass es dem kleinen Würmchen da unter seiner Hand gut ging, genauso wie er penibel darauf aufpasste, dass sich Akeno immer gut fühlte. Das Ding hatte noch die Möglichkeit, sich zu einem vollkommen reinen Menschen zu entwickeln, das würde er um jeden Preis bewahren. Es berührte ihn viel mehr, als er zugeben würde, so dass es ihn regelrecht erschreckte, als er plötzlich bemerkte, dass er lächelte. Beinahe beschämt zog er die Hand wieder weg, verschränkte die Arme und hoffte, dass sein bester Freund nicht gesehen hatte, was er getan hatte, da es ihm irgendwie furchtbar peinlich war, glücklich zu sein, das durfte er einfach nicht. Letztendlich riss er sich jedoch zusammen und grunzte kurz, abfällig, grimmig wie immer dreinblickend. “Bin gleich wieder da.”
Es dauerte tatsächlich nur wenige Minuten, in denen er mürrisch wie ein Feldstecher seinen Weg durch Menschenmassen in Richtung des Hinweisschildes plante, dieses mit finsterem Blick studierte und dann auf die Cantine zuhielt, in der sich Toast auftreiben lassen sollte. Am Ende fragte er eine Mitarbeiterin des Schuppens hier, die ihm einen ganzen Batzen davon, sowie etwas zu trinken aufschwatzte und ihn an den Kurs erinnerte. Waren die hier alle so freundlich oder spielten die das nur? Rakugaki jedenfalls machte sich eilends auf den Weg zurück zum Zimmer, da er nicht so recht wusste, auf was für komische Ideen sein bester Freund kommen musste, und stolperte schließlich mit einem ziemlich großen Teller mit ziemlich viel Toast und anderen Dingen, einer ziemlich großen Flasche Wasser und einem ziemlich ernsten Gesichtsausdruck ins Zimmer. Die ersten beiden Dinge gab er an “Yoki” weiter, dann machte er einen Schlenker ins Bad und kam mit einem Blümchenkulturbeutel zurück. Diesen auf dem Schoß, setzte er sich, nachdem er einen Sessel mit etwas Kraftanstrengung quer durchs Zimmer gegenüber von Akeno gezogen hatte, etwas geschafft wieder hin. Es war heiß. “Die Frau in der Cantine hat gesagt, dass du zum Ess'n Vitamine schluck'n musst ... Ich hab keine Ahnung was das is', aber in Gemüse sind auch Vitamine, oder? Deshalb iss das auch, ich hab von allem 'was genomm'n, was die hatt'n ...” Nun hatte er schon zuviel für Rakugaki gesprochen, also verstummte er und kramte stattdessen in dem Täschchen herum. Wenn er da nicht irgendetwas Nützliches fand ... Zum Beispiel einen Stundenplan, anhand dessen sie herausfinden konnten, wo sich die Pärchen hier trafen und wo sie demnach mit ziemlicher Sicherheit ihre Zielperson finden mussten.