"Doch du wirst gehen, mein Sohn." Die Stimme von Jun Hayabusa war zwar nicht besonders laut oder autoritär gesprochen, aber dennoch schaffte sie es ohne Problem für absolute Ruhe im Hause Hayabusa zu schaffen und den Streit zwischen Mutter und Sohn zu unterbrechen. Schon mehrere Minuten lang hatten sich die temperamentvoll Aoi und Ray der ihr feuerrotes Haar vererbet bekommen hatte über eine gewisse Einladung zu einem Maskenball in das Reich des Bären gestritten. Aoi war begeistert davon, sie schwärmte von Juwelen, Glitzer und den fabelhaften Lichter und hätte ihrem Sohn schon längst die Maske dafür zurechtgeschneidert, wenn dieser sich nicht mit heftiger Vehemenz dagegen gewehrt hätte. Zu blöd, dass er die doofe Einladung nicht gleich verbrannt hatte. Wieso zum Henker hatten sie ausgerechnet ihn eingeladen? Er hasste Bälle, er hasste Tanzen, abgesehen von einer Ausnahme, er mochte Menschenmengen nicht, feine Empfänge, Gala-Abende und dieser Maskenball versprach all das. Keine zehn Pferde hätten ihn dazu zwingen können freiwillig zu solch einer Veranstaltung zu gehen, ganz egal, was für eine große Ehre das auch war. Ein Aufenthalt auf diesem Terrain kam für ihn mit der Hölle gleich und eigentlich hatte er erwartet, dass sein Vater ihn in dieser Angelegenheit verstand. Dementsprechend perplex blickten in diesem Moment Mutter und Sohn zu Ehemann bzw. Vater, welcher sich gerade aus seinem Sessel erhob und den Blick seines Sohnes fixierte und leicht seufzte.
"Ich weiß, dass du solche Veranstaltungen aus tiefstem Herzen verabscheust." fing er an und noch bevor Ray eine patzige Antwort geben konnte, machte er weiter.
"Aber diese Einladung ist etwas, was du nicht ausschlagen kannst oder solltest. Es ist ein Job, ein Auftrag, eine diplomatische Mission, wenn du es so willst. Dort nicht zu erscheinen würde ein außerordentlich schlechtes Licht auf dich und auf unseren Clan werfen und glaub mir man würde das herausfinden." kam er dem Argument des Hayabusa zuvor, welcher sich damit herausreden wollte, dass er ja maskiert wohl schwer zu erkennen sei und dementsprechend man doch gar nicht wissen könnte, ob er anwesend war oder nicht.
"Du wirst also gehen und du wirst ohne Widerrede die Maske tragen, die deine Mutter für dich schneidert." Ein triumphierendes Grinsen schlich sich in die Gesichszüge seiner Mutter.
"Und Aoi.." Jetzt klang die Stimme von Jun Hayabusa voller Sanftmut und Zärtlichkeit.
"Du kennst unseren Sohn, also bitte übertreib es nicht." Es war immer wieder erstaunlich, wie gut Rays Vater seine Frau, seinen Sohn und Menschen im Allgemeinen einschätzen konnte und scheinbar immer genau wusste, was in ihren Köpfen vorging. Dazu besaß er ein unglaubliches Geschick das richtige Wort zur richtigen Zeit zu sagen, sodass jetzt weder Sohn noch Ehefrau widersprachen.
Einige Tage später im Reich des Bärens betrachte Ray sich im Spiegel der Herberge, wo er für die Dauer des Maskenballs untergebracht war. Er war zwiegespalten mit dem was er dort sah. Die Maske war absolut edel und seine Mutter hatte ihn weder in einen Anzug noch in einen anderen feinen Zwirn gesteckt, doch die glitzernden Pailletten und Edelsteine, die sie in seine Kleidung verarbeitet hatte, waren fast zu viel. Andererseits musste Ray zugeben, dass sie einen ziemlich guten Job gemacht hatte. Die Falkenmaske saß wie angegossen und die edlen Verzierungen bestehend aus Goldfaden um die Augen, am Schnabel und noch an einigen anderen Stellen waren zwar auffällig, aber nicht blendend. Es wirkte edel, aber nicht übertrieben und auch wenn sein Outfit im Grunde aus einer einfachen, guten Jeans und einer schwarz-weiß, blauen Kapuzenoberteil mit Applikationen bestand, so war es wahrscheinlich absolut passend. Niemand würde ihn anhand seines äußeren erkennen und selbst die muskulösen Unterarme, die frei waren, waren noch unter den strengen Augen von Aoi Hayabusa mit ordentlich Bräunungscreme behandelt worden, wie auch der restliche Oberkörper, sodass seien Hautfarbe einen bronzenen Ton angenommen hatte, wie ihn die Menschen aus dem Reich des Sandes besaßen. Andererseits war das Outfit so unpassend für den wilden Falkenjungen, dass er sich absolut unwohl darin fühlte und die Maske schränkte sein Blickfeld ein, wenn auch nur ein wenig. Generell war die Maske das Einzige worauf manche Personen eventuell auf die Idee kommen konnten, dass es sich bei diesem Besucher des Maskenball um den Falkenjungen handeln könnte. Denn es war die Maske eines Falkens, doch dies musste ja nicht zwingend ein Hinweis auf den Falkenclan sein. Außerdem war die Maske so geschickt gestaltet, dass sie den Jungen einige Zentimeter größer erschienen ließ, als er in Wirklichkeit war. In Kombination mit den edlen Absatzschuhen seines Vaters erreichte der Falkenjunge nun eine durchaus stattliche Größe von etwa 1,80m, was immerhin beinahe 10 Zentimeter mehr wie seine reale Größe.
Jedenfalls hatte Ray seine Ankunft im Fukumen so lang wie möglich herausgezögert. Voller Absicht hatte er so getan, als ob er sich in den weniger besuchten Nebenstraßen verlaufen. Einerseits um Zeit zu schinden und andererseits um die großen Menschenmengen zu meiden, die auf den hell erleuchteten Hauptstraßen flanierten. Nur aus sicherem Abstand heraus hatte Ray die vielen bunten Masken und Gesichter betrachtet, die allesamt ausgelassen und fröhlich erschienen.
//Was mache ich hier eigentlich.// seufzte Ray und schlussendlich trottete er resigniert zum Ort des Maskenballs. Erst kurz bevor er das große Anwesen betrat, streckte er sich und nahm eine würde- bzw. schon fast hoheitsvolle Haltung ein, als ob er ein fremdländischer Prinz sei. Heute war er kein Jäger, hatte ihm seine Mutter eingeredet. Er war auch kein Philosoph, sondern er war Horus, kam aus gutem Hause und sollte aus allen Poren die edle Abstammung versprühen, die seine Kleidung ausdrückte. Es gab nur ein Problem dabei: Ray hatte keine Ahnung, wie sich so eine Person auf einem Maskenball benehmen würde und es war wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis er durch irgendetwas absolut auffällig werden würde. Aber wenigstens konnte er seine Mutter dann erzählen, dass er sein Bestes gegeben hatte. Hoffentlich würde er den Abend überleben und am besten noch ohne vollkommen traumatisiert zu sein.
Aber einen Vorteil hatte die Maske, denn er musste wenigstens nicht seine Gesichtszüge verstellen. Ansonsten hätte ihn der Mann mit der einfachen Porzellanmaske, der ihn am Eingang in Empfang nahm, wahrscheinlich wieder hochkant rausgeschmissen. Denn unter dem Falkenkopf machte Ray ein ziemlich gequältes Gesicht, als ob er gerade die Bauchschmerzen seines Lebens hätte und in gewisser Weise fühlte er sich innerlich auch genau so. Es bedarf seiner gesamten Willensanstrengung die Füße über die Schwelle zu setzen und dem Diener zu folgen. Jedenfalls nahm er an, dass er genau das tun sollte, denn wirklich verstanden, was der Mann zur Begrüßung gesagt hatte, hatte er nicht, dafür war er viel zu sehr mit seinen eigenen, inneren Kämpfen beschäftigt. Und es kam noch schlimmer, denn der Raum in den ihn der Diener verabschiedete, hatte noch nicht einmal Fenster. Wenigstens war er einigermaßen groß, doch die Beklemmung im Brustkorb des Falkenjungen nahm nur noch zu.
//Ich will hier weg.// schoß es ihm durch den Kopf und leider half ihm diesmal kein Bodo, der ihn beispielsweise dazu herausgefordert hätte die Schwelle zum Friedenssaal zu übertreten.
//Alles muss man selber machen.// brummte der Rotschofp in sich hinein und forderte schlussendlich sich selbst mit einer Wette heraus den Saal zu betreten, den er, ganz wie geplant als letzter der Teilnehmer betrat.
Was Ray beim Betreten des Saals nicht ahnte war, dass er jede der anderen Teilnehmerinnen, die schon auf ihn warteten kannte und zwei von ihnen sogar ziemlich gut. Durch seine Maske wirkte es beinahe majestätisch, wie er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ. Unter seiner Maske jedoch war die Erleichterung zu erkennen, die sich nun in ihm ausbreitete. Es war keine Menschenmenge und von den drei Teilnehmerinnen war nur eine wirklich vornehm gekleidet mit einem bodenlangen Kleid und einer grazilen Schmetterlingsmaske, die jedoch Gesichtszüge und auch die braunen Haare deutlich erkennen ließ. Die anderen beiden waren, wie er selbst weitaus umfassender verkleidet und bei der ganz in schwarz gekleidete Person mit der weißen ANBU-ähnlichen Maske war er sich nicht mal ganz sicher, ob es sich um eine weibliche oder männliche Person handelte, denn der schwarze Poncho versteckte mögliche Rundungen. Sein scharfer Falkenblick musterte den Körper etwas genauer und Ray kam zu dem Schluss, dass diese eine eher weibliche Figur hatte. Das musste nichts heißen, denn klare Anzeichen waren nicht zu erkennen, aber sollte es so sein, verriet das Outfit zumindest, dass diese Frau eine radikal anderer Einstellung zu Kleidern hatte, als Miss Schmetterling. Als sein Blick jedoch auf die letzte Teilnehmerin fiel, erschien ein großes, breites Grinsen auf seinem Gesicht, als er erkannte, um wen es sich dabei handelte. Nicht das Kayas Maske so schlecht war, dass er sie sofort durchschaut hätte, nein verraten hatte sie der schwarze Vogel auf ihrer Schulter, der nur für schwarze Hayabusaaugen sichtbar war. Ob Saku ihn wohl erkannte. Zumindest starrte er ihn böse an, aber das musste bei dem Raben nichts heißen, der guckte öfter so grimmig. In ihrer Maske allerdings wirkte Kaya mindestens so anders, wie Ray selbst. Rays scharfen Augen entging nicht, dass ihre Haltung viel femininer war, als normal. Der Rotschopf war erstaunt, wie sehr Make-Up, Kleidung und Haltung das Rabenmädchen verändert hatten, die gerade ganz und gar nicht so wirkte wie die Kaya, die er bisher kannte. Nicht das das etwas schlechtes war. Ob Kaya wohl genauso überrascht von seinem Aussehen war, falls sie ihn erkannte.
Doch noch ehe Ray überhaupt etwas sagen konnte, ergriff Mr. Porzellanmaske das Wort und beantwortete die Frage, die Miss Schmetterling in dem Moment gestellt haben musste, als er den Raum für Ray alias Horus geöffnet hatte.
"Jetzt wo ihr vollständig seit, dürft ihr euch daran machen die Aufgabe zu lösen, die im Namen dieses Saales verborgen ist." verkündete er feierlich und verließ den Raum wieder. Und damit verließ er den Saal wieder.
"Was immer er damit auch meint." ergriff Ray das Wort und selbst seine Stimme klang durch die Maske anders, dumpfer, tiefer und vielleicht sogar ein wenig würdevoller.
"Guten Abend." begrüßte er dann auch die Damen mit einem leichten Kopfnicken, ehe er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ.
"Ihr habt nicht zufällig schon etwas entdeckt, was die Lösung zu diesem Rätsel sein könnte?"