Hyuuga Mari
Chuunin

Mal ganz offen gesagt – Mari war verwirrt. Und das nicht zu wenig. All die Ereignisse, die vor knapp einer Woche geschehen waren, geisterten im Kopf des Weißauges umher und dachten nicht einmal daran, ihr auch nur eine Minute Pause zum Verschnaufen zu geben. Was war nur in sie gefahren? Wie hatte sie das eigentlich einfach so geschehen lassen können? Entgegen der meisten Fälle befand sich die Braunhaarige zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der heimischen Villa, dort hätte sie es kaum ausgehalten. Nicht nur, dass sie dort durchgehend gegenüber ihrer Familie versuchen musste, den Anschein zu erwecken, alles sei normal – viel zu sehr erinnerte ihr Zimmer sie daran, was zwischen ihr und dem Tatsumaki passiert war. Er war für sie da gewesen, als Aiko im Krankenhaus hatte verweilen müssen. Er hatte sie aufgemuntert und abgelenkt. Auf dem Rückweg war dieser Regen aufgekommen, Mari hatte ihm Unterschlupf gewährt und dann? Die Erinnerungen, wie es zu den Einzelheiten gekommen war, verschwommen – doch dass sie zusammen mit Hei im Bett lag, nicht unbedingt in rein freundschaftlicher Art, daran erinnerte sie sich noch zu gut. Am nächsten Morgen war der Suna-Nin nicht mehr da gewesen, er musste sich irgendwann, nachdem die Hyuuga eingeschlafen war, davon gemacht haben. Was war seit dem passiert? Nichts. Sie hatte weder etwas von dem Schwarzhaarigen gehört, noch hatte sie selbst nach direktem Kontakt gesucht. Die 16-Jährige war damit beschäftigt gewesen, ihre eigenen Gedanken zu ordnen und sich wieder zur eigenen Kontrolle zu maßregeln. Dennoch – wie sollte sie sich verhalten, wenn sie Hei wieder begegnete? War da mehr? Wahrscheinlich sollte sie eher versuchen, eine gewisse Distanz zu dem jungen Mann zu wahren. Ein stummer Seufzer entfloh ihren Lippen, während ihre Füße sie an diesem klaren Vormittag die Straßen Jôseis entlang führten. Ihre Haare waren zu einem Zopf geflochten, der ihr über die linke Schulter hing, das Abzeichen Konohas glänzte an der Stelle, an der Mari es auch sonst stets trug. Das Oberteil bestand aus einem weißen, schulterfreien Top und einem schwarzen Bolero, der ¾ der Arme bedeckte und unter der Brust mit einem Knopf geschlossen worden war. Die Hose war selbstverständlich die altbekannte Hotpants, unter der eine ¾ Leggins zum Vorschein kam. Abgerundet wurde alles von einfachen, weiß-grünen Sportschuhen. Nein, es war nicht mehr so kalt, dass man sich vollkommen einhüllen musste. Allerdings auch nicht so warm, dass man halbnackt durch die Gegend springen konnte. Kurz gesagt: Es war Frühling. So allmählich. Und dementsprechend pellten sich die Menschen in Shiro allmählich aus ihren Winterkleidern und ließen – Stück für Stück – wieder etwas mehr Haut sehen.
Aber zurück zum Thema, das war gerade viel wichtiger. Was sollte Mari sagen und tun, wenn sie Hei sah? Die letzten Tage hatte sie diese Frage mehr oder weniger erfolgreich aufgeschoben, doch nun, nachdem ihr mitgeteilt worden war, dass beide Jugendlichen einen Job zusammen erledigen sollten – was ein Zufall – kam sie nicht umhin, sich dieser Sache zu stellen. Blöde Pubertät. Die weißen Äuglein schlossen sich einen Augenblick, sie atmete tief durch – und traf eine Entscheidung. Das hier war die Arbeit, demnach musste sie professionell an die Sache herangehen. Was das hieß? Ganz einfach, so tun, als sei alles vööööööllig normal~ Sollte doch nicht so schwer sein, oder? … Oder? … Die Hyuuga hatte jedenfalls vor, ihr Bestes zu geben. Dadurch konnte der Auftrag nicht in Gefahr gebracht werden und – aber das war natürlich vollkommen nebensächlich – sie konnte einem recht unangenehmen Gespräch aus dem Weg gehen. Die 16-Jährige war selbstbewusst und sprach die Dinge meist direkt und ohne Umschweife an, aber im Endeffekt war sie eben doch nur eine junge Frau, die gerade das erste Mal Erfahrungen – in dieser Art – mit ihrer Gefühlswelt machte. Das war nicht so einfach wie einem Kollegen auf einer Mission die Meinung zu geigen. Also, worum sollte es denn heute gehen? Ein paar alte Knacker auf das hiesige Laternenfest begleiten? Oha, da hatte die Hyuuga unglaubliche Lust drauf. Ihre Hände versanken in den Taschen ihrer Hose, als das Altenheim in Sichtweite kam. Seit ihrer Ernennung zum Ninja hatte Mari schon des öfteren mit Kindern zu tun gehabt – aber mit Senioren? Das war neu und ganz einig, wie man da herangehen sollte, war sich die Kunoichi auch nicht. Naja, die sozialen Fähigkeiten des Weißauges waren ja sowieso nicht unbedingt bemerkenswert. Die Überlegungen noch nicht abgeschlossen, trat sie auf den Vorplatz. Alles ziemlich grün hier. Die junge Frau erkannte einige Omas und Opas, die sich in dem Gärtchen des Altenheims sammelten, eifrig miteinander plauderten – und dann trat ein etwas jüngerer Mann auf die Hyuuga zu, der freundlich lächelte und sich vor der 16-Jährigen verbeugte. So, wie es die Höflichkeit eben gebot. „Kimoto Akira mein Name. Du bist sicher einer der Ninja, die uns heute helfen sollen. Hyuuga Mari, diese Augen sind unverkennbar. Wo ist denn dein Kollege? Er hieß doch Tatsumaki Hei, wenn ich mich richtig an die Unterlagen erinnere, die man uns zugesandt hat.“ Bei dem so direkt ausgesprochenen Namen machte sich wieder dieses unbehagliche Gefühl breit. Dann sammelte sich die Hyuuga jedoch wieder und nickte. Ihr Gesicht gab keine großen Emotionen preis, als sie dem offensichtlichen Auftraggeber antwortete. „Stimmt. Und wann mein Kollege kommt, kann ich nicht sagen.“ Sehr aussagekräftig, wirklich.