Kajiya Ayumi
Genin
"Es finden wenig Trost
die Trauernden; tagaus,
tagein kreisen die Gedanken,
die Wände wanken
und unsere große, blaue Welt
ist wie ein Blätterhaus
Sekunden vor dem Sturm."
die Trauernden; tagaus,
tagein kreisen die Gedanken,
die Wände wanken
und unsere große, blaue Welt
ist wie ein Blätterhaus
Sekunden vor dem Sturm."
Fragment ohne Titel - Mark Z. Danielewski
Ein kalter Schauer kroch über Ayumis Rücken als sie die wohlige Wärme des Lagers verließ. In einer alten, verrosteten Tonne hatten ein paar ihrer Bekannter ein Feuer entfacht gehabt, das gegen die Kälte helfen sollte. Die Kajiya hatte im Laufe der Nacht, als der Sturm "Sabiko" schlimmer geworden war, ihr zuhause verlassen um den Straßenkindern, mit denen sie derzeit abhing, ein wenig unter die Arme zu helfen. Gemeinsam wurde ein Feuer angefacht, "Besitztümer"der Straßenkinder (wie z.B. Decken, Klamotten und die Messer, mit denen Ayumi die Kids zur Selbstverteidigung ausgestattet hatte) sturmfest unterzubringen und die große Plane, die gegen Regen und Nässe schützte, im Sturm festzuhalten. Doch als sich die Nacht dem morgen genähert hatte, war der Sturm weitergezogen und damit war auch das Schlimmste für Ayumis Bande überstanden gewesen. Sie hatte ein wenig gedößt, ohne dabei richtig geschlafen zu haben. Jetzt war es morgen und sie machte sich auf den Weg zurück zu ihrer Familie. Ihr Weg führte sie aus dem Byakko-Bezirk, wo die Straßenkinder in einem der vielen Parks lagerten, zurück ins Handwerks- und Ladenviertel Suzaku.
Doch noch bevor sie dort angekommen war, wurde sie von einem Chunin mit monotoner Stimme angesprochen. "Hmm... du bist 'ne Kunoichi, oder?" Gut, das war Ayumi nicht sonderlich schwer anzusehen. Schwarzer Kampfanzug; Stirnband mit dem Shirogakure-Wappen; die Tatsache, dass sie wieder einmal wie eine übermütige Zirkuskatze von Hausdach zu Hausdach sprang: Das alles deutete doch sehr auf Ayumis Profession hin. "Haiii!!!", bestätigte sie enthusiastisch-lautstark und machte einen Hopps vom Dach. Geschickt landete sie genau zwischen zwei Pfützen und verspritzte so kein Regenwasser auf den großgewachsenen, blaß wirkenden Chunin. "Kajiya, Ayumi, Genin.", stellte sie sich vor und salutierte dabei aufrecht vor ihrem Vorgesetzten. "Chunin sind doch meine Vorgesetzten, oder?", dachte sie sich und blickte den Kerl an. "Is' ja gut... Das Handwerksviertel brauch' Hilfe. Wegen dem Sturm und so...", erklärte er langsam und drückte Ayumi so lange eine Schriftrolle mit dem Siegel der Stadtverwaltung Jôseis darauf Ayumi in die Hand. "Geh einfach und schau, wo du aushelfen kannst... Lass dir das von dem Handwerker unterschrieben..." Mit "das" war die Schriftrolle gemeint. "...dann kriegste bei der Verwaltung deine Bezahlung." Soweit so gut, das verstand selbst Ayumi. "Verstanden, ...Sir!". Ein wenig unsicher, ob das "Sir" angemessen war, blickte Ayumi den Chunin noch ein wenig länger an. Keine Reaktion kam. "Ich...ähm... gehe dann mal!", teilte sie ihm mit und auch der Chunin ging weiter seiner mysteriösen Wege.
Als Ayumi im Handwerkerviertel ankam hatte sie bereits die - für ihre Verhältnisse - grandiose Idee gehabt, einen Blick in die Schriftrolle zu werfen. Und tatsächlich hatte der Gedankengang Früchte getragen, denn in der Schriftrolle war ein Ansprechpartner genannt: Kodachi Mokuzai. Die schwarzhaarige Kunoichi grinste beim Gedanken an den grummligen aber doch irgendwie liebenswerten Tischler. Unter den Handwerkern Jôseis kannte jeder irgendwie den anderen und Ayumi hatte einmal Scharniere für eine Kommode aus Kodachi-sans Tischlerei angefertigt. Der alte Mann war streng und penibel gewesen, hatte Ayumi zwei Mal dazu gebracht, ihre Werkstücke zu überarbeiten. Er hatte nicht locker gelassen, bis alles genau seinen Vorstellungen entsprochen hatte. So jemand wie er würde einen guten Koordinator für die Aufräumaktion abgeben.
Das Viertel sah, gelinde gesagt, übel mitgenommen aus. Der Sturm hatte Strommasten umgeknickt, als seinen sie... "Dünne, spitze Holzstäbchen... Wie hießen die gleich noch..." Zahnstocher, das war es. Ziegelsteine, die von den Dächern heruntergeweht wurden, hatten Einschlaglöcher in den Scheiben und Fassaden, sogar im Pflastersteinboden hinterlassen. Von der Sattlerei Takushi wurde sogar das komplette Dach heruntergeweht. Schon viele läute waren geschäftig unterwegs, sammelten Trümmer ein und räumten sie zur Seite, machten sich mit Balken, Hammern und Nägeln an Reparaturarbeiten oder liefen durch die Straßen um nach Freunden und Bekannten zu sehen. Und dann waren da noch die Auftraggeber: Natürlich war das Handwerkerviertel nicht das einzige, das von "Sabiko" heimgesucht geworden war. Auch in anderen Stadtteilen Jôseis sah es sicher ähnlich schlimm aus. Und die Bewohner strömten nun in Massen ins Handwerkerviertel, suchten nach Schreinern, Dachdeckern, eigentlich irgendjemandem. Wohl betuchte Herren versuchten, mit Geld und Stellung zu bewirken, früher dran zu kommen als einfache Leute. Eine ganze Familie, komplett mit zwei weinenden Kindern, fehlte darum, dass man sich um ihr überschwemmtes Haus kümmerte. Ein Restaurantbesitzer, wohl aus Baykko, brüllte lautstark, sein Laden sei bis zum Abendgeschäft wieder zu reparieren. Kurz: Es herrschte das blanke Chaos. Vorsichtig von Dachgiebel zu Dachgiebel hüpfend machte Ayumi sich ein gutes Bild über die Situation, die sich in den letzen Minuten im Handwerkerviertel zusammengetragen hatte, und das Bild gefiel ihr nicht.
In all dem Chaos konnte sie nach einer kurzen Suche dann aber Kodachi-san ausmachen. Mit einen schweren Holzbalken auf der Schulter sprach er zu einem jungen Mann und zeigte mit dem Finger in eine Richtung. Interessiert rutschte die Kajiya den Grat des Daches, auf dem sie gerade war, herunter und landete mit einem Satz neben den beiden. "Yooo, melde mich zur Schadensbeseitigung, Kodachi-dono!", platzte sie in das Gespräch hinein und hob dem Tischler zum Gruße die Hand. Danach blickte sie zu dem jungen Mann, mit dem er geredet hatte. Eines seiner Augen war unter einer Klappe versteckt, er trug einen wetterfesten Mantel und hatte einen recht dunklen Hautton, zu dem seine weißen Haare überraschen gut passten. Ayumi hatte den Kerl mit der Augenklappe schon öfter Mal im Viertel gesehen, er schien hier wohl regelmäßig zu verkehren, aber auf seinen Namen kam die Kajiya gerade nicht. Also grinste sie den Kerl so breit an, wie sie konnte, und boxte ihm gegen die Schulter. "Hey, ich bin Ayumi. Bist du auch hier zum Helfen?"