cf. ⇨ Hafenstadt Okushi
Airika zog ihre Augenbrauen hoch, als sie beeindruckt und etwas perplex beobachtete, wie Ayumi mithilfe eines Jutsus etwas an ihrem Katana änderte. Irgendwas schien sich zu ändern und kurz stieg Empörung in ihr auf. Was tat sie da? Wollte sie das Schwert verformen? Es war die Klinge ihres Vaters und die dessen jetzige Besitzerin maß ihr deswegen besonders viel Wert bei! Das Mädchen wollte gerade entrüstet losmeckern, stockte aber, als sie erkannte, dass ihre Kameradin die Narben der Klinge ausbesserte. Ein Prozess, den sie hätte bei einem Schmied machen müssen und das war mehr als kostspielig. Ob sie etwas dafür verlangen würde? Auf ihrem Gesicht zeichneten sich gemischte Gefühle ab, doch sie schwieg, während sie ihr fasziniert zusah. Einerseits fand die Hanabira es unverschämt, dass sie die Klinge ohne ihre Erlaubnis einfach ausbesserte, andererseits… Konnte sie nicht anders, als ihr erstaunt bei der Arbeit zuzusehen. Schmieden war ihr nicht möglich, da sie es nie gelernt hatte. Das Katana konnte Airika nur schleifen, mehr aber auch nicht. Als Ayumi fertig war, überreichte sie es dem Rotschopf und grinste sie spitzbübisch an. Es wurde also nicht ausgebessert, sondern war nun stabiler. Mh, auch gut. Und wenn es zerbrach, meinte die Schwarzhaarige, sollte sie in ihr Anwesen kommen. Machte sie etwa Werbung für ihre Schmiede? Nun ja, vielleicht würde sie es tatsächlich in Betracht ziehen… Doch ehe sie antworten konnte, richtete sich Ayumis Aufmerksamkeit direkt auf Izuya. Etwas skeptisch nahm Airika das Schwert entgegen, begutachtete es und steckte die Klinge seufzend zurück in die Scheide. Die Luft roch salzig und gesund. Oft hatte das Mädchen gehört, dass Meeresluft besonders gut für die Atemwege sein sollte. Jetzt, wo sie live dabei war, konnte sie sich überzeugen. In der Tat hatte sie das Gefühl, dass sie noch freier atmen konnte, als sonst. Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein, weil sie in diesem Moment besonders auf ihre Atmung fixiert war, um nachzuhorchen, ob die Erzählung stimmte.
Als sie etwas verloren am Deck stand, entschied der Rotschopf sich, ihre beiden Kameraden allein zu lassen und bewegte sich auf das Geländer zu. Sie legte die beiden Unterarme auf das massive, dunkle Holz, welches von Wind und Wetter etwas mitgenommen aussah. Tiefe Furchen zogen sich durch die mächtigen Balken, jedoch nicht so, dass es instabil aussah. Ayumi hatte ein wirklich lautes Organ, mit halbem Ohr hörte sie, wie Izuya irgendetwas erklärte. Doch sie verspürte nicht den Drang, sich jetzt zu ihnen zu gesellen. Obwohl keiner der beiden ihr bisher unsympathisch waren, brauchte sie den Rückzug. Es handelte sich um eine C-Rang-Mission und da würde wohl einiges auf sie zukommen. Da konnte sich das Mädchen doch ein wenig Ruhe gönnen und melancholisch auf die Wellen blicken, die gegen das große Schiff schlugen. Schaum bäumte sich auf und brach, als das Meer sie in die Tiefe verschluckte. Doch je weiter sie ins offene Meer segelten, desto ruhiger wurde es. Fasziniert beobachtete sie, wie sich die See mit jeder Meile beruhigte. Airika stand einige Minuten regungslos da, als sich nähernde Schritte sie aufhorchen ließen. Sie drehte sich um und sah, dass sich einer der Seeleute ihr genähert hatte. Sowie das Schiff hat auch er jedes Wetter mitgemacht, seine Haut war gegerbt und sonnengebräunt.
„Oy, komm mal mit. Wir brauchen mal deine Hilfe. Du bist von allen die Größte, da können wir dich bei der Takelage gut gebrauchen.“ Fragen legte sie den Kopf etwas schief.
„'Tschuldige, aber was ist das?“ Der Mann grinste.
„Wirst du gleich schon sehen, folge mir.“ Zögerlich stieß sich die Hochgewachsene vom Geländer weg und ging dem Mann hinterher. Airika hatte keine Ahnung von Schiffen, wusste auch nicht, wie die ganzen Bereiche hießen. Sie wusste nur, dass man den Schlafraum im Schiff Koje nannte und diese riesigen Stämme, die hoch in den Himmel ragten und die Segel hielten, Mäste waren. Mehr auch nicht – das war rudimentäres Allgemeinwissen. Sie seufzte. Ob er sich die Richtige ausgesucht hatte? Würde sie überhaupt eine Hilfe sein? Der ältere Mann hatte ein beachtliches Tempo darauf, weshalb Airika fast nicht hinterherkam. Sie stiegen höher und er zeigte auf die Mäste und die vielen Seile, die bestimmt zehn oder fünfzehn Meter in die Luft ragten.
„Wie heißt du noch mal?“, wollte er wissen.
„Airika.“ „Okay, Airika. Ich bin Hermann. Das ist eine Takelage und du kletterst nach ganz oben und hilfst mir, das Kleinsegel neu aufzuspannen. Die Seile müssen gelockert und fester zugeknotet werden.“ Das Mädchen schluckte.
„Und woher weiß ich, welches das Richtige ist?“ Sie legte ihren Kopf in den Nacken und je mehr sie realisierte, was er eigentlich von ihr wollte, desto mehr wich die Farbe aus ihrem Gesicht.
„Das werde ich dir dann zeigen. Das ist wirklich nicht schwer. Das ist keine Raketenwissenschaft – was auch immer das sein soll.“ Hermann lachte vergnügt. Etwas verwirrt sah sie den Seemann an und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. Scheiße… Das durfte doch nicht wahr sein! Der hatte ja gut reden. Die Vorstellung, bei einem wackelnden Schiff mehrere Meter in der Luft zu hängen, trieb Airika einen eiskalten Schauer über den Rücken. Ihr Magen drehte sich um und fast hätte sie gesagt, dass sie das nicht konnte, weil sie unter Höhenangst litt. Doch sie biss sich mahnend auf die Zunge. Erstens musste sie sich in solche Situationen bringen, um diese Angst nach und nach loszuwerden, zweitens wollte sie auch nicht nutzlos und ein Klotz am Bein sein. Angstschweiß hatte sich auf ihre Stirn gebildet.
„Ich geh schon mal vor und du kletterst mir einfach hinterher, klar?“ Ohne auf ihre Antwort abzuwarten, stieg er schon gekonnt hoch. Airikas Knie wurden sofort weich, ihr Herz hämmerte aufgeregt und verängstigt gegen ihre Brust und sie schluckte hart. Jetzt musste sie dadurch.
„Alles klar, dann wollen wir mal.“ Sie tat ihr Bestes, ihre Angst zu verbergen, doch als sie das erste Seil ergriff und einen halben Meter hochstieg, wackelte es gefährlich und ihr ganzer Körper verkrampfte sich. Sie krallte sich so fest an den Strick fest, dass ihre Knochen weiß hervortraten. Airikas Kiefermuskeln spannten sich an, ihre Zähne mahlten aufeinander und sie sog scharf die Luft ein.
Mist… Nicht nach unten sehen, nur aufs Klettern konzentrieren. Alles wird gut, nur nicht runtersehen! Krampfhaft blickte sie hoch und stellte geschockt fest, dass Hermann bereits ein ganzes Stück weiter oben war. Er blickte kurz zu ihr runter und hob verständnislos die Augenbrauen.
„Na komm, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“ Sie zuckte zusammen und versuchte wie betäubt weiter in die Höhe zu klettern. Doch als ein Windstoß kam und das Netz wieder anfing, stark zu schwanken, spannten sich erneut alle Muskeln an und sie hielt abrupt inne. Sie vernahm ein schwermütiges Seufzen.
„Mädel, sag nicht, dass du…“ –
„Ich komme!“, unterbrach sie ihn lauter, als sie eigentlich beabsichtigt hatte.
„Alles gut, ich komme. E-es hat nur gewackelt und ich bin so was nicht gewohnt“, log sie. Hermann grinste. Als sie sich langsam hocharbeitete und immer wieder kleine Pausen einlegen musste, weil sie vor Angst fast nicht mehr atmen konnte – auch wegen der Anstrengung und, wenige Minuten später, endlich oben ankam, grinste ihr der Seemann spöttisch zu.
„Du hast Höhenangst.“ Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.
„Was? Nein, natürlich nicht!“ Sie weitete geschockt die Augen.
„Kindchen, ich bin lange genug auf See unterwegs, um Leute zu erkennen, die Höhenangst haben. Aber alle Achtung“, er klopfte ihr auf die Schulter, was natürlich ein erneutes Wackeln zur Folge hatte und sie wieder verkrampfen ließ.
„… Du hast es trotzdem durchgezogen, hier hochzuklettern. Traut sich nicht jeder.“ Etwas hilflos nickte Airika und entkrampfte sich ein bisschen, als sie merkte, dass sich das Netz nicht mehr bewegte. Unter keinen Umständen durfte sie jetzt nach unten sehen. Störrisch schaute sie hoch und versuchte mit Hermann Blickkontakt aufzunehmen, ohne, dass man ihr die Angst allzu deutlich ansehen konnte.
„Also, siehst du das Segel links neben dir? Es ist etwas locker und wir müssen die Seile neu spannen, wie ich es eben gesagt habe.“ Er deutete neben sie und das Mädchen drehte ihren Kopf leicht zur Seite und nahm das Segel nickend zur Kenntnis.
„Die Seile sind zu locker. Du müsstest die Knoten lösen und strammer zubinden. Ich zeige dir auch gleich, wie man einen Knoten macht. Ich könnte es zwar auch allein, aber das würde doppelt so lange dauern und ehrlich gesagt: Keiner von uns oder der Crew will, dass wir hier oben herumkaspern, während Piraten auftauchen.“ Airika weitete erschrocken die Augen.
„Piraten?“
„Jepp, hast dich nicht verhört, ‚Kleines‘. Wir sind aufm Meer, was erwartest du?“ Die Hanabira zuckte mit den Schultern.
„Weiß nicht.“
„Warst du überhaupt Mal auf dem Meer? Also, nicht am Strand, sondern so richtig mitten im Ozean?“, wollte er wissen. Airika schüttelte zögerlich den Kopf.
„Nein, noch nie… Aber es gibt ja immer das erste Mal, oder?“, sie fühlte sich total unsicher und irgendwie glaubte sie zu ahnen, dass die Mission eine Katastrophe wird.
„In der Tat. Also gut, beginnen wir also…“
Hermann und Airika machten sich an die Arbeit. Es vergingen einige Minuten, bis er ihr beibringen konnte, wie man den Knoten aufmachte und wieder zuknotete. Sie verstand relativ schnell und versuchte sich an den ersten, obersten Knoten.
„Ich fange unten an, du oben, klar? Dann arbeiten wir uns bis zur Mitte vor.“ Sie nickte und musste zu ihrem Entsetzen feststellen, dass es noch zwei oder drei Meter in die Höhe ging, ehe sie die Spitze des Masts erreichte, an das das Segel befestigt war. Hätte sie doch bloß ein Seil, das sie irgendwo festbinden konnte, sodass sie wenigstens gesichert war! Verschwitzt kroch sie also noch die letzten, qualvollen Meter hoch, ihr Nacken schmerzte bereits, vom ganzen in-den-Himmel-Gestarre. Dieser hatte sich in der letzten halben Stunde kaum merklich zugezogen. Es waren zwar nur lockere Wolken, von denen keine Bedrohung auszugehen schien, doch als ihre Seelenspiegel sich zum Horizont bewegten, erstarrte sie, als sie die Turmwolken erblickte, die sich langsam dem Schiff näherten. Wie eine dunkelgraue, undurchdringliche Wand schlich sie auf der Crew zu, leise und unbemerkt. Sogar der Wind hatte sich gelegt und keine Welle schaukeltenn das Schiff. Ängstlich spannte sich die Siebzehnjährige an. Hoffentlich würde sich das Neuspannen des Segels nicht allzu sehr in die Länge ziehen, denn wenn der Sturm kam, hatte sie keine Lust, noch oben zwischen den Seilen zu stehen.
Konzentriert richtete Airika ihre volle Aufmerksamkeit auf die Knoten. In der Tat war es nicht schwer, sie zu lösen und neu zuzuknoten. Hierbei musste sie darauf achten, dass die Stricke strammer waren, als zuvor. Gekonnt starrte die Rotäugige dabei auf den zu bearbeitenden Knoten und achtete darauf, dass ihr Blick nicht aus Versehen herunterglitt. Eine Zeit lang bekam sie das auch relativ gut hin, ihre Muskeln entspannten sich nach einer Weile ein wenig und sie konnte sich auch besser auf die Arbeit konzentrieren. Sie befürchtete allerdings, dass sie am nächsten Tag einen heftigen Muskelkater bekam. Denn den Körper stabil zu halten und gleichzeitig sich auf die Arbeit zu konzentrieren, verlangte ihr einiges an Kraft ab. Aber das würde sie schon aushalten, immerhin war sie Genin. Dass es windstill war, kam dem Mädchen auch zugute und so beachtete sie die nächsten zehn bis fünfzehn Minuten nicht mehr, dass der Himmel sich weiter verdunkelt hatte.
Plötzlich ging alles rasend schnell und Airika konnte gar nicht rasch genug reagieren, als ein greller Blitz den Himmel spaltete, gefolgt von einem lauten Donnern. Es hatte die ganze Zeit ein wenig gegrummelt, aber Airika hatte das gar nicht mitbekommen, weil sie so fokussiert war. Und als wenn das nicht schon genug war, erwischte das Schiff wie aus dem Nichts eine heftige Windböe, die es mit einem kräftigen Ruck zur Seite schob und alles nach links kippte. Jeder Mensch mit Verstand wusste zwar, dass so ein Windstoß ein solches Schiff nichts anhaben konnte. Die Hanabira zuckte erschrocken zusammen, konnte sich nicht rechtzeitig an den Strick vor ihr am Netz halten und verlor das Gleichgewicht. Jegliche Farbe verschwand aus ihrem Gesicht, panisch riss sie die Augen auf und mit einem Aufschrei hielt sich das Mädchen an das nächstbeste Seil fest, das in ihrer Greifnähe war. Es war eines der Seile, dass am Segel hing und noch nicht am Mast befestigt war. Sie schrie auf, das Adrenalin raste durch ihre Blutbahn, es rauschte in ihren Ohren und sie hatte das Gefühl, dass sie für einen kurzen Moment sehr viel Kraft entwickeln konnte, damit sie in der Lage war, ihr ganzes Körpergewicht mit nur einer Hand festzuhalten. Ängstlich griff sie mit der anderen Hand danach.
„Oh Gott, oh Gott, scheiße!“, rief sie ängstlich. Zu ihrem Leidwesen hatte sie auch noch nach Unten gesehen und jetzt wurde ihr mit einem Mal bewusst, wie weit sie oben war.
„Oooooh Gooooott!“, schrie sie. Eigentlich war Airika nicht so nah am Wasser gebaut, aber wenn sie Panik bekam, dann war sie es… Tränen liefen ihr die Wange herunter. Das Seil baumelte hin und her und durch ihr Körpergewicht wurde der Pendeleffekt natürlich noch verstärkt. Sie konnte sich nicht bewegen, erstarrte, kniff die Augen zusammen und wagte nicht, auch nur einen Muskel zu bewegen. Die Hanabira fühlte sich wie gelähmt und hatte das Gefühl, dass das Leben an ihr vorbeilief wie bei einem Film. Eine gute Kunoichi hätte einen kühlen Kopf bewahrt und hätte sich eine Strategie überlegt, sich aus dieser misslichen Lage zu befreien. Doch Airika wäre nicht Airika, wenn sie das könnte. Wäre auch zu schön…
@Akinawa Izuya |
@Kajiya Ayumi