Das großgewachsene Mädchen stand noch immer vor dem Schreibtisch und blickte ernst auf die Platte. Es war so unbegreiflich für sie, dass sie wusste, dass etwas nicht stimmte und sie es einfach nicht bestimmen konnte. Tora war ein sehr aufmerksames Mädchen, dies kam wahrscheinlich von ihrem fast krankhaften Perfektionismus. Sie hatte immer alles genau im Blick und immer das Gefühl alles unter ihrer Kontrolle halten zu müssen. Alles und auch wirklich alles was sie tat, war genaustens geplant und sie hatte für jede Situation, welche ihr erdenklich war, eine Ausweichsituation. Dumm war Tora definitiv nicht, dies konnte man ihr wirklich nicht anrechnen. Doch es gab viele andere Dinge die man ihr Vorwerfen konnte: Der Perfektionismus, ihre Aggression, ihr Drang immer für alles und jeden unnahbar zu wirken und ganz besonders ihre Egozentrik. Wahrscheinlich war grade diese Kombination der Grund dafür, dass das Mädchen nicht viele Freunde hatte. Wenn sie nicht Angst vor ihr hatten, dann empfanden sie sie als unsympathisch oder frech und wahrscheinlich war sie das auch. Um genau zu sein, wenn man Tora fragen würde, ob sie sich für einen der „Guten“ hielt, würde sie mit Sicherheit nein antworten, denn für sie drehte sich ihr Leben nur um sich selbst. Natürlich war das sicherlich für sie der einzig richtige Weg, doch das Mädchen wusste, dass sie wohl für die meisten Menschen, eben diejenigen die nicht so dachten wie sie, Abschaum war.
Umso schlimmer war es für die Yamamoto sich eingestehen zu müssen, dass sie dieses Mal nicht hier war allein wegen sich selbst. Klar, sie hatte sich den gesamten gestrigen Abend lang in ihrem Zimmer eingeschlossen und alles über Genjutsu gelesen, was sie hatte finden können. Und natürlich war sie auch hier um etwas zu lernen, aber der Gedanke, dass sie wegen diesem Mädchen hier war, war nach wie vor da und das verunsicherte Tora irgendwie sehr…
Die Bestätigung des Mädchens erleichterte die Yamamoto nicht mehr, nein irgendwie machte sie das stolz. Sie hatte selbst nicht damit gerechnet, dass sie Recht behalten würde. Viel mehr dachte sie, dass es falsch war nach ihrem Gefühl zu gehen und sich nicht nur auf das zu verlassen was man gesehen hatte. Die Welt der Genjutsu zeigte Tora nur wieder einmal mehr, dass sie wusste warum sie sich nicht darauf spezialisiert hatte. Wenn es um Genjutsu ging, hatte man nichts in festen Bahnen. Selbst wenn man egal wie stark und trainiert war, es würde immer Fälle geben die unberechenbar und unkontrollierbar waren. Eine Sache die Tora nicht hinnehmen konnte, besonders weil man sich beim Lösen eines Genjutsus ja irgendwie darauf verlassen musste, dass man merkte, dass man eben in einem steckte. Also, das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, musste eben da sein… Gefühle sind Schwachsinn und trügen den Verstand des Menschen – So zumindest laut der Definition der Yamamoto. Doch genau das war es ja worum es bei Genjutsu ging… Der Gedanke daran die Kontrolle zu verlieren, war schrecklich und da war Tora sicher nicht die einzige die so empfand, wenn auch etwas extremer als die meisten. Bei genauerem betrachten, wurde Tora klar, dass Genjutsu wirklich zu Yukiko passten… Sie waren listig und man musste schon recht skrupellos sein um so etwas zu benutzen, es passte wirklich. Die Menschheit konnte wohl froh sein, dass Tora dieses Talent nicht hatte, denn ansonsten würde sie wohl jeden Menschen seine schrecklichsten Ängste durchstehen lassen, bis er zu Boden ging, verzweifelte oder vielleicht sogar verrückt wurde. Je nachdem wie stark sie war, versteht sich.
Dennoch, die Erklärungen von Yukiko waren mal wieder sehr hilfreich. Tora verstand und versuchte sich das ganze irgendwie bildlich vorzustellen. Natürlich nicht nur das, denn irgendwie musste sie sich das alles ja einprägen. Trotzdem versuchte sie während den Erklärungen von Yukiko den Raum wieder unter die Lupe zu nehmen. Sie hatte nicht vergessen, dass das Spiel noch weiter ging… Die letzte Aussage der Ikari gefiel Tora allerdings ganz eindeutig. Dies bedeutete, dass diese Jutsu nicht unlösbar waren und damit konnte Tora also doch alles aus dem Weg räumen, wenn sie nur wusste wie. Zuschlagen, einfach direkt zuschlagen. Ein breites Grinsen zeigte sich auf dem Gesicht des Mädchens und sie beugte sich ein Stück vor. Dann sagte ihr Yukiko jedoch schon, dass das Spiel weiter ging und sie wieder einmal schauen musste, was sich nun verändert hatte. Tora schaute sich im Raum um. Jede noch so kleine Ecke ganz genau… Sie sah vieles, vieles was zutreffen könnte, doch sie konnte mal wieder nichts bestimmen. Allmählich verstand sie auch wieso… „Du weißt genauso gut wie ich, je länger wir dieses Spiel spielen, egal ob du es schwerer machst oder eben nicht, es wird ohnehin schwerer für mich. Ich schaue mir den Raum immer und immer wieder an, versuche mir alles und jede Kleinigkeit zu merken, doch das kann ich nicht. Es sind zu viele Kleinigkeiten und ich schätze, wenn man das nicht trainiert, ist es für das Hirn unmöglich das so anzuwenden. Mal davon abgesehen, dass es in der Praxis ohnehin realitätsfern ist, so zu handeln.“ Plötzlich lachte Tora leise und verschränkte die Arme vor ihrem Körper. „Ich könnte dir nun unendlich viele Dinge in dem Raum nennen, bei denen ich denke, dass sie sich verändert haben, einfach weil ich weiß, dass du etwas verändert hast. Und nur weil ich es weiß, suche ich danach und wenn ich danach suche, dann finde ich unendlich viele Lösungen… Weil ich weiß, dass ich danach suche und dass ich finden muss. Leider ist das menschliche Gehirn nicht so leistungsfähig, wie man es manchmal gern hätte…“ Wie immer sprach Tora recht schnell, manchmal ohne Punkt und Komma und absolut ohne dabei irgendwelche Gefühlsregungen in der Sprache zu zeigen. Alles was kam, war ein leichtes Lachen zwischendurch und zum Ende ihrer Worte, wurde sie immer leiser. Als sie fertig gesprochen hatte, lösten sich die Arme vor der Brust des Mädchens und ganz plötzlich holte sie kräftig aus. Doch anstatt zu zuschlagen, hielt die Faust direkt vor dem Gesicht des Mädchens an. Es waren nur wenige Millimeter vor der Nase des zierlichen Mädchens, wo sie stoppte. „Wenn ich es lösen müsste, würde ich es wohl so tun, denn an der Stelle muss ich mir wohl eingestehen, dass ich es schlicht und ergreifend nicht kann.“ Das Lächeln verstummte plötzlich und ein absolut ausdrucksloser Blick fiel in das Gesicht der Ikari, direkt in ihre Augen. War es eine Schande sich das einzugestehen? Wohl nicht so richtig, denn Tora hatte von Anfang an gesagt, dass sie es nicht konnte…