Eigentlich war es ein ziemlich simpler Auftrag, den sie heute erledigen sollten. Keine besonderen Gefahren, die sie zu erwarten hatten, keine Kämpfe, keine Kriege, keine diplomatischen Gespräche. Obwohl… Letzteres vielleicht doch? Zumindest indirekt. Mari und Hei sollten das Oberhaupt von Takigakure am Nordtor von Jôsei in Empfang nehmen, einen Tag lang bespaßen, irgendwie auch beschützen und schlussendlich zu Gesprächen mit dem Hikarikagen abliefern. Warum genau Umiko nach Jôsei kam, wusste die Hyuuga nicht – genauso wenig wie ihr Freund. Wenn man die zeitliche Abfolge beachtete, war es zumindest naheliegend, dass es eine Verbindung zur letzten Mission gab. Ob das nun etwas Positives oder Negatives für Mari und Hei bedeutete, wagte sich die Kunoichi aber nicht abschließend zu beurteilen. Die Begleitung eines Oberhauptes… Erinnerungen an den damaligen Job mit Kana, als sie gemeinsam den Raikagen hatten begleiten müssen, huschten durch das Köpfchen der Hyuuga. Es waren keine guten Erinnerung. Es konnte eigentlich nur besser werden als damals, oder?
Es war noch recht früh, als sie gemeinsam mit Hei am Nordtor wartete. Die Sonne ging gerade erst auf, ein leichter Nebel hing über dem Pfad und erschwerte die Sicht in die Ferne. Es war eine angenehme Stille, die an diesem frühen Morgen herrschte – ein Grund, warum Mari die Morgenstunden mochte. Anders als beim Tatsumaki machte ihr das frühe Aufstehen nichts aus, genauso wenig das offizielle Outfit, das sie tragen musste. In ihrer Freizeit war die Hyuuga zwar froh, auf die Chuunin-Weste verzichten zu können, aber vielleicht lag es in ihren Genen, dass sie auch kein Problem damit hatte, sie zu tragen, wenn es eben notwendig war. Irgendwie war Mari dann eben doch traditionell erzogen worden. Die Stimme ihres Freundes riss die junge Frau aus ihren Gedanken. Sein kurzes Zögern, genauso wie das Reiben an seinem Kopf entging Mari nicht. Natürlich hatte der Suna-Nin immer wieder einmal von seinen Kopfschmerzen berichtet und dass diese nicht weggingen, gefiel der Hyuuga ganz und gar nicht. Mehr als einmal hatte sie den Tatsumaki darauf angesprochen, endlich einen Arzt aufzusuchen, das untersuchen zu lassen – aber bisher hatte sich Hei dagegen erfolgreich gewehrt. „Ich würde ja sagen, solange du noch solche Scherze machen kannst, kann es dir nicht allzu schlecht gehen“, erwiderte sie auf seinen kleinen Witz (okay, es war sehr wahrscheinlich kein Witz), bevor ihr Blick einen Hauch strenger wurde. „Das mit deinen Kopfschmerzen gefällt mir nicht, Hei. Wenn das so weitergeht, kommst du um einen Arztbesuch nicht herum“ Sie stoppte kurz, suchte den Blickkontakt mit ihrem Freund und ergänzte in vollkommenem Ernst: „Notfalls trage ich die persönlich dorthin.“ Und es sollte klar sein, dass Mari das auch genauso umsetzen würde. Als es schließlich um die Frage ging, warum genau Umiko Jôsei besuchte, zuckte Mari mit den Achseln. Sie wusste immerhin genauso wenig wie Hei. Umiko war der Kunoichi als strenges, aber auch faires Oberhaupt in Erinnerung geblieben. Eigentlich machte sich die Hyuuga nicht wirklich Sorgen, dass der Besuch mit einer Beschwerde zusammenhing, das passte einfach nicht zu dem Eindruck, den das Oberhaupt bisher hinterlassen hatte. „Zuletzt waren die Gefahren, mit denen Taki als unabhängiges Land sich auseinandersetzen musste, nicht besonders klein. Vielleicht kommt Umiko auch nach Jôsei, um sich zukünftig besser gegen diese Gefahren behaupten zu können? Vielleicht strebt sie ja sogar ein besseres Verhältnis zu Shirogakure an?“ Es war eine Möglichkeit von vielen und genaueres würden sie erst erfahren, wenn Umiko endlich ankam.
Fast so, als hätte sie es gehört, schälte sich eine Kutsche aus dem wabernden Nebel am Horizont und näherte sich dem Nordtor. Interessanterweise gab es keine größeren Wachposten, die die Kutsche begleiteten, sondern nur den Kutscher, der die Pferde antrieb und nach kurzer Zeit vor Hei und Mari zum Stillstand kam. Der Kutscher – ein hagerer Mann mit kahlem Kopf – kletterte von dem Gefährt, nickte den Shinobi einmal kurz zu und trat dann an die Seite, um die Tür der Kutsche zu öffnen. Hervor trat… „Mari-san!!“ Ein lauter Aufschrei ertönte und noch ehe die Hyuuga verstanden hatte, wer da aus der Kutsche kam, warf sich ein schlanker Körper um ihren Hals. Mari blinzelte und erst, als die Fremde sich von ihr löste, erkannte sie, um wen es sich handelte. „Shino?“ Ja, tatsächlich. In dem normalen Shirt und den weiten Hosen hätte Mari die Einheimische aus Taki fast nicht wiedererkannt. Aber… was machte Shino hier? Gerade als die Hyuuga diese Frage auch formulieren wollte, war es ein Räuspern im Hintergrund, das die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zog. Und da stand die Person, die Mari eigentlich erwartet hatte: Umiko, das Oberhaupt von Takigakure. „Hyuuga-san, Tatsumaki-san. Es freut mich, euch wiederzusehen“, sprach die Frau mit dem dunklen Haar aus und lächelte sogar ganz leicht. „Ich habe extra nach euch als Geleitschutz für meinen Besuch in Shirogakure gefragt. Es freut mich, dass mein Wunsch erfüllt wurde.“ Ach, hatte sie das? Fragen über Fragen. Dieser Besuch wurde wirklich immer rätselhafter.