Als hinge Karuras unerbittliche Herausforderung nicht schon wie ein Damoklesschwert über Junkos Kopf, entschied sich auch noch Hiroshi dazu, in das Gespräch einzugreifen, und er tat dies ungewöhnlich aggressiv mit einem direkten Frontalangriff auf Person und Charakter des Statistikmädchens. Im Ernst, er kam mit Kin im Arm direkt hierher, an diesen Ort, einzig und allein zu dem Zweck, die Konoha-Chuunin zu ärgern und erwartete … ja was eigentlich genau? Hatte er erwartet, dass sie Gespött einfach ertrug und sich ihm aufgrund dieser verbalen Glanzleistung zu Füßen warf? Hatte er erwartet, Junko würde seine Worte bedenken und aufgrund seiner einzigartigen Präsenz sofort ihr Leben in eine andere Richtung ändern und plötzlich vor Lebensfreude sprühen, nur weil sich der Herr herabließ, einige provozierende Worte an sie zu richten? Danke, aber nein danke. Warum bitte war er verärgert und warum fiel ihm nichts Besseres ein, als Kritik an ihrer mangelnden Spontaneität und allgemein altklugem Auftreten zu üben? Hatte er überhaupt das Recht dazu? Mal ehrlich, wie arrogant konnte man sein, sich anzumaßen, Kritik am Charakter eines anderen Menschen zu üben, ohne diesem auf freundschaftlicher Basis nahe zu stehen? Kayros kritisierte Junko in dieser Hinsicht auch gelegentlich, aber er tat dies im Zuge einer Laune oder eines Gesprächs, aber niemals als verbale Attacke, wie Hiroshi es gerade tat. Ryoichi ließ sich auch manchmal zu gutmütigem Spott hinreißen, war aber selbst etwa 90 % der Zeit viel zu gut gelaunt, um dahingehend Anstrengungen zu unternehmen. Allerdings hatten sowohl Kayros als auch Ryoichi zuvor eine Kleinigkeit erledigt: Sie hatten Junko in all ihrer Spießigkeit und Altklugheit akzeptiert. Das war eine Stufe, die Hiroshi einfach übersprungen hatte, und behandelte die Kunoichi daher einfach so, als verberge sich ein ganz anderes Mädchen hinter der neunmalklugen Fassade und schien regelrecht empört, dass dieses sich nicht durch die paar Sätze, die sie miteinander gewechselt hatten, zeigte.
Sodann ließ Hiroshi nicht einmal Zeit zum Antworten, sondern knallte verbal die Tür hinter sich zu und drehte sich mit einem unausgesprochenen „Tzä!“ zu Kin um, um mit dieser einkaufen zu gehen. Kurze Erfassung der Lage: Kins Auftreten Marke Tussi. Check. Teurer Klamottengeschmack. Check. Lackierte Fingernägel. Check. Zeug in den Haaren, damit es hielt. Check. Make-up. Check. Griffbereiter Spiegel. Check. Dieser Einkauf würde nicht nur Stunden dauern, sondern auch gehörig an den Nerven des Ogawa zehren, dahingehend war sich Junko sicher, die angesichts der verbalen Attacke ein wenig verwirrt war. Langsam beschlich sie das Gefühl, dass Hiroshi sie nicht in geringster Weise leiden konnte. Nun, es war ja auch nicht so, dass sie sich ihm am liebsten an den Hals geworfen hatte; dafür hatte sie einfach zu viele Zweifel, was seinen Führungsstil betraf, und auch sein Verhalten war ihr gegenüber nie sonderlich freundlich oder zuvorkommend gewesen. Junko hatte stets in gleicher Manier, wenn nicht sogar mit Frustration reagiert, und somit wurde in dem Aktenschrank ihres Gehirns die Akte Ogawa Hiroshi hervorgeholt und in eine speziell für ihn entwickelte, neue Kategorie eingeordnet: „Leute, die ich mittelmäßig gut kenne, aber mit denen ich niemals einen Glückskeks teilen würde“. Wenn Junko mit dem Ogawa arbeiten musste, dann würde sie mit ihm arbeiten. Aber nichts und niemand auf der Welt konnte sie dazu zwingen, ihn wirklich gern zu mögen oder mehr als Smalltalk mit ihm zu betreiben. Ryoichi mochte ein nervenaufreibendes Energiebündel sein und Kayros ein tollpatschiger Zwölf-bis-Mittag-Denker, aber Himmel, der Umgang mit diesen beiden war angenehmer. Der Hiragana war zumindest eine engagierte, loyale und ehrliche Haut, auch wenn er zuweilen Fanboy-Tendenzen aufwies, und Ryoichis Chaotentum war eigentlich sympathisch, selbst wenn Junko nie und nimmer zugegeben hätte, dass sie diese beiden Genin eigentlich mochte. Sogar gern mochte.
„Man könnte fast meinen, er sei nur hierhergekommen, um sich über mich lustig zu machen.“, murmelte die Chuunin in ihren nicht vorhandenen Bart, während sie nachdenklich den Kopf schüttelte. Na so was … trotz aller Rationalisierung hatte die direkte Kritik, der direkte verbale Angriff dann doch gesessen. Dabei war es eher zweitrangig, von wem so etwas kam, aber Worte konnten verletzend sein, selbst für Junko. Oder gerade für sie, je nachdem, von welchem Standpunkt aus man es betrachtete. Der Gedanke wurde abgeschüttelt, während sich die Kunoichi wieder dem Hier und Jetzt widmete, welches sich vor allem in Form von Karura äußerte, die sich weigerte, wegzugehen, bis man ihrer Herausforderung nachgekommen war – ebenso wie der seltsame Genin mit dem Süßigkeitentick sich entschuldigt hatte und nunmehr darauf wartete, dass man ihm Aufmerksamkeit schenkte. Was für ein Tag … aber wie bereits erwähnt hatte Junko einfach keine Wut mehr übrig, die sie empfinden konnte, noch nicht einmal Frustration. Wie zur Hölle sollte sie jetzt in einer dermaßen friedlichen Stimmung Karura loswerden? Vielleicht gab es ja dafür keine Möglichkeit? Wenn die Aza etwas war, dann vor allem ein gewaltiger Dickschädel, soviel hatte Junko schon mitbekommen. Sich rausreden? Würde schwierig werden, da sich die Taijutsuspezialistin nur selten auf rationale Argumente einließ oder diese einfach mit Taijutsulogik (Wer ein Wölkchen angucken kann, kann sich auch prügeln) konterte. Sich auf die Herausforderung einlassen? Schlechte Idee, zumal Junko die Aza im Gefecht gesehen hatte und wusste, dass diese nur schnippen brauchte, um das weißhaarige Mädchen gegen die nächste Wand zu klatschen. Wenn es zum Gefecht kam, standen selbst mit guter Vorbereitungen die Chancen, gegen die Aza zu bestehen, relativ schlecht, und mit mangelnder Vorbereitung lief die Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in einer direkten Konfrontation gegen Null. Wie kam sie also aus der Sache heraus? Wahrscheinlich gar nicht, also hieß es Improvisieren, während Junko einen letzten Versuch des Herausredens unternahm.
„Hör’ zu, Karura … ich kann den Posten nicht verlassen. Direkte Mission, ich muss hier sitzen bleiben und eine Statistik anfertigen. Keine wirklich fordernde Aufgabe, aber ich würde Ärger bekommen, würde ich meine Arbeit einfach liegenlassen.“ Dass es da noch Ryoichi gab, der diese Arbeit einfach übernehmen konnte, wurde einfach mal unter den Tisch fallen gelassen, auch wenn sich die Kunoichi ziemlich sicher war, dass Karura diesen Umstand als Gegenargument benutzen würde … obwohl dieser gerade mehr damit beschäftigt war, in irgendwelchen Mangas zu versinken, als sich seiner Aufgabe zu widmen. Von daher war es wieder an Junko, weitere vier Striche in die Liste zu setzen, als ein Geninteam durch das Haupttor spazierte, um einer spannenden Mission zu frönen. Junko machte während des Gesprächs mit Karura einen seriösen und verantwortungsbewussten Eindruck, strahlte Vernunft und Ernsthaftigkeit aus … und bereitete sich mental dann doch bereits auf ein Gefecht vor. Ihre Liste befand sich immer noch auf dem Schoß, der Stift uncharakteristisch in der rechten Hand, während die Kunoichi ihre linke Hand dazu benutzte, um sich auf dem unbequemen Stuhl zurechtzurücken und dabei entsprechend leidend schaute. Karura konnte weder sehen noch wissen, dass die kleine Linkshänderin bereits in ihre Hintertasche griff, um im Falle eines Fehlschlags von Diplomatie irgendeine böse Überraschung hervorzaubern zu können. A propos Diplomatie …
„Außerdem bin ich kein Gegner für dich, das wissen wir beide. Wenn es dir ums Training geht und du dich wirklich einer Herausforderung stellen willst, empfehle ich dir eine Runde mit diesem charmanten jungen Herrn hier.“ Mit der rechten Hand deutete sie unmissverständlich auf Ryoichi, der noch immer wühlte.
„Ryoichi ist dir in Sachen Kampfstil sehr ähnlich und könnte einen Trainingskampf für dich sehr interessant gestalten. Falls du aber weiterhin darauf bestehst, dass ich meine Pflicht vernachlässige und mich einem Kampf stelle, den ich ohnehin verliere, können wir den Witzkeks zu Kayros schicken. Dann brauchen wir nämlich ganz bald einen Medic … und zwar für mich.“
Traurig aber wahr. Junko war nun einmal nicht wirklich ein Nahkämpfer. Sie war Planer und glänzte durch unterstützende Ninjutsus, aber das war’s auch schon. Die Qualitäten eines Chuunin mussten nicht unbedingt im direkten Kampf liegen, sondern lagen manchmal in der Leitung, wie allgemein bekannt war. Jetzt lag es allerdings wirklich an Karura, ob Sakamoto für einen Botengang eingespannt wurde. Na, zumindest hatte man seine Anwesenheit wahrgenommen.