[ Mission: Meister der Diebe, #4 ]
Das leise Prusten von Kana fand Hei wirklich witzig. Irgendwie lockerte es ein wenig die Atmosphäre, die er bis eben noch als etwas... dicht empfunden hatte. Kana hatte offensichtlich ein paar Hemmungen zu sprechen, zumindest war sie kein Meister des Smalltalk. Allerdings, auch das erinnerte ihn ein wenig an sich selbst. Früher hatte er - wenn möglich - nicht allzu viel gesprochen. Weder auf Missionen, noch auf Jobs - wenn es sich nicht vermeiden hatte lassen. Mittlerweile war es mehr die Regel, dass er die Gesprächsführung übernahm. So ganz genau wusste er nicht einmal, woher das gekommen war, aber wirklich abstreiten konnte Hei es nicht. Sein Blick suchte den der ungewöhnlich gefärbten Augen von Kana, die... ein wenig so aussah, als würde ihr warm sein. Ein winziges Schmunzeln konnte sich der Wüstensohn nicht verkneifen. Auch das war irgendwie typisch für einen Jungshinobi. Wenn man noch nicht allzu viele Erfahrungen mit allen möglichen Umgebungen gemacht hatte, klang es vielleicht noch attraktiv, das gleiche Outfit zu tragen, egal bei welchem Wetter und welchen Gegebenheiten. Wenn man aber die Wüste, die Berge, die weiten Ebenen des Feuerreichs, dichten Wald und was nicht sonst noch alles bereits hinter sich gebracht hatte, fing man an, sich weitaus besser vorzubereiten. Es war nur ein Moment, in dem Hei darüber nachdachte, während er zusah, wie das Mädchen ihre fingerlosen Handschuhe auszog, aber er fühlte sich manchmal unnatürlich alt, auch wenn er das wirklich nicht war. Er hatte gerade mal eine Zwei vorne stehen - und doch fühlte es sich irgendwie so an, als wäre er schon Ewigkeiten im Job. Aber: Er war neugierig, wie sich Kana entwickeln würde. Wenn sie solche Talente hatte und in ihrem Alter bereits anfing, zu lernen - wer wusste schon, was dabei herauskommen würde? Sicherlich jemand, auf den man sich sehr gut verlassen konnte. Der Tatsumaki grinste leicht. "Super", antwortete er nur und drückte ihr die Glaskugel in die Hand. "Erzähl' ich dir gleich", fuhr er dann fort, nach einer kurzen Pause.
Früher hatte er das anders gemacht. Früher hatte er niemandem davon erzählt, was sein Bluterbe war. Wie tief sich die Wüste in seine Adern gegraben hatte. Aber heute war das anders; Mari hatte es ihm ausgetrieben. Während es bei dieser Mission möglicherweise nicht ganz so brisant war, hatte er lernen müssen, dass es wichtig war Fähigkeiten vor seinen Teamkameraden nicht geheim zu halten. Egal wie sehr er sich dadurch genötigt fühlte, zu liefern. Damals hatte er in einem Zustand des Zweifelns gelebt: Wenn jeder von seinen Fähigkeiten wusste, würde dann nicht jeder Dinge von ihm erwarten, denen er nicht gewachsen war? Das hatte sich mittlerweile geändert. Hei war nicht nur sehr viel selbstbewusster geworden, sondern hatte sehr viel mehr Freude und Spaß daran, zu zeigen, was er konnte. Egal was für eine Standpauke er von dem Kagen kassiert hatte, der Wettbewerb war der endgültige Auslöser dafür gewesen.
Diese Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf, während er fasziniert zusah, wie Kana ihre Fähigkeit zur Schau stellte. Ihm entwich sogar ein leichter Pfiff durch die Zähne. Also eins war mal sicher: Das hier war die deutlich hübschere Variante eines Bluterbes. Er hatte bisher nur selten von Menschen gelesen, die Kristall formen konnten, aber es war ihm nicht gänzlich unbekannt. Seine Studien in den Tiefen der (ihm zugänglichen) Bibliotheken zahlte sich aus. Und einer Sache wurde ihm dann auch bewusst: die Genin war eine äußerst aufmerksame Kollegin. Nicht nur hatte sie Mari genau gemustert, um zu schauen, was ihr gefiel - sondern erschaffte innerhalb von wenigen Momenten ein Schmuckstück, welches sich nicht vor herkömmlichen Anhängern und Schmuckstücken verstecken musste. Selten passierte es, aber... Heis Neugierde war definitiv geweckt. Mit funkelnden Augen betrachtete er das Kristallstück, in welche Kana seine kleine Glaskugel eingeformt hatte, und grinste. "Fantastische Arbeit, Kana", meinte er und lachte. "Sehr viel mehr als ich erwartet hatte." Der Suna-nin warf einen Blick zu Mari und grinste. "Scheint dir auch zu gefallen, hm?" Hei richtete sich wieder komplett auf, schien äußerst zufrieden zu sein - und doch hatte er dieses sehr in ihm verankerte Bedürfnis, Kana über ihre Fähigkeiten auszufragen und sich alles aufzuschreiben. Diese Neugierde war etwas, was sich schon immer durch sein Leben gezogen hatte. "Ich stimme Mari zu. Davon würde ich gerne mehr sehen, wenn möglich. Aber...", fuhr der Wüstensohn fort und sah zu seiner Freundin. "... du hast Recht, wir müssen weiter." Sein Blick huschte zu dem Anhänger, der mittlerweile über dem Dekolleté von Mari hing. Jep. Passte. Er erregte definitiv Aufmerksamkeit. Selbst Hei, der den Erschaffungsprozess mitgemacht hatte, erwischte sich dabei einen Moment einfach nur auf das glitzerne Kleinod zu starrten.
Weiter war die Ansage, weiter ging es auch. Hei machte die Hitze nicht zu schaffen, zumindest nicht wirklich. Im Gegenteil, sie erinnerte ihn an seine Heimat, und während es zwar nicht tatsächlich so war... er fühlte sich lebendig. Alsbald traf die Gruppe von Ninja auf einen Scheideweg - drei hölzerne Schilder neben den jeweiligen Wegen offenbarten die Zielorte oder zumindest die Richtungen der jeweiligen Wege. Hei kratzte sich am Kopf. "Wisst ihr", meinte er dann. "Ich vergesse immer das wieder gerne, aber irgendwie ist es doch komisch, wie weit weg das Blitzreich eigentlich ist." Er deutete auf das Schild, dass neben dem einen Weg stand. "Reich des Eisens, ganz im Norden. Daneben gehts in Richtung Reisfeld-Reich. Und dann... Reich des Heißen Wassers, Reich des Frosts und Reich der Blitze. Theoretisch müssten wir durch zwei andere Reiche durchreisen, um bis dorthin zu gelangen. Ich gehe davon aus, dass die Grenze zwischen Hi no Kuni und Yu no Kuni gemeint ist. Alles andere wäre eigentlich seltsam." Er nickte und schien einen Moment nachzudenken. Es war Mittag mittlerweile; die Hitze ließ die Luft flirren und selbst für ihn war es mittlerweile recht heiß. Die fünfunddreißig Grad hatten sie sicher schon erreicht. Sein Blick fiel auf einen hölzernen, recht großen Unterstand, unter dem zwei Bänke und ein Tisch platziert waren. "Lasst uns kurz eine Pause einlegen." Hei fand das wichtig. Sie hatten keinen Zeitdruck in dem Sinne. Ohne, dass das eine Frage gewesen wäre, trieb er seine Kolleginnen zu dem Unterstand, der normalerweise wohl gegen Regen helfen sollte - in diesem Falle aber auch einen guten Sonnenschutz darstellte. Nach einem Griff in seinen Beutel tauchte da plötzlich eine Schriftrolle auf - genauso wie mehrere Trinkflaschen, in denen kühles Wasser nur darauf wartete, eine ausgetrocknete Kehle hinabzufließen. "Bedient euch." Hei lehnte sich gegen den Tisch und warf noch einmal einen Blick auf den Anhänger von Mari. "Übrigens, nur das keine Missverständnisse entstehen: Ich halte ein Lederband für leichter überwindbar als einen Finger. Mehr nicht. Außerdem...", fing er an, blinzelte dann und schüttelte sofort den Kopf. "Ach... egal." Ohne näher darauf einzugehen, wand sich der Suna-nin an Kana - nachdem er einen ordentlichen Schluck getrunken hatte. "Ich schulde dir noch eine Antwort. Du musst sie aber für dich behalten, das ist Top Secret. Und auch noch nicht komplett ausgereift." Der Schwarzhaarige hob eine Hand, über der eine kleine Flamme entstand. "Ich bin Ninjutsuka und nutze Katon. Außerdem habe ich auch eine besondere Fähigkeit." Er hob die andere Hand an, und dort flog - wie von selbst - Sand aus der Umgebung hin, welcher sich insbesondere aus ein paar der Ritzen und Ecken des Unterstands erhob. "Und zusammen...", erklärte er, führte die Hände zusammen und es wirkte, als müsste er beinahe gegen magnetische Kräfte ankämpfen, als sich seine Arme anspannten und er die Hände immer weiter zusammendrückte. Der Sand fing an zu glühen, schien zu rotieren - bis eine bonbongroße Glaskugel daraus entstand, welche immer noch glühte. Hitze ging von der Kugel aus wie von einem Wärmestrahler - zumindest für einen Moment. Hei atmete einmal ein, einmal aus, dann ließ er die schnell kühlende Glaskugel auf den Boden fallen, wo sie noch ein Stück weiterkugelte. "Ich bin noch dabei, die Grundlagen ordentlich zu strukturieren. Es ist echt schwierig." Mit diesen Worten lächelte er seine Mitstreiter an. "Wir sind auf jeden Fall ein schlagkräftiges Team. Übrigens... Mari, wenn jemand auftauchen sollte - bitte versuch so viel es geht mit dem Anhänger zu kokettieren, wie du kannst, in Ordnung? Ich möchte, dass jeder potentielle Dieb das Ding sieht." Das Lächeln wurde zu einem feinen Grinsen. Naja, irgendwie gehörte das wohl auch dazu, eine Kunoichi zu sein. "Kana, ich würd' dich bitten, ganz genau darauf zu achten, wohin jeder schaut, mit dem wir zusammentreffen, egal ob er gerade mit mir, mit Mari oder gar nicht redet. Damit sollten wir erstmal gut abgesichert sein. Eigentlich sollten wir erst heute Abend in dem Dörfchen ankommen, aber wer weiß..."