Im ersten Moment war sich Ingvi nicht sicher, was er da sah. Da stand jemand, ja, aber wer? Die Beleuchtung war eher spärlich, es konnte also ebenso gut die Hinketsu sein, wie jeder andere auch. Natürlich konnte er an der Stimme schnell erkennen, dass diese Person eindeutig nicht Yuzuki war, immerhin war die Stimme eine männliche. Freundlicherweise trat der Unbekannte dann in den Schein der Laterne, die den Platz erleuchtete, wurde sichtbar, Ingvi konnte seine Gesichtszüge betrachten, seine Frisur, seine Gangart und... erkannte nichts. Wer zur Hölle war das? Den Kopf legte der Rutako leicht schief, doch ihm wollte einfach nichts dazu einfallen. Der Klang der Stimme kam ihm bekannt vor, doch er konnte sie nicht wirklich einordnen, er wusste nur, dass er sie schon gehört hatte... und das war bestimmt nicht lange her. Aber er konnte sie weder einem Namen, noch einem Gesicht zuordnen; schon gar nicht genau diesem Gesicht. Auch mit dem Fetzen, den ihm der Fremde entgegen hielt, konnte Ingvi nicht viel anfangen. Schwarzer Stoff, der im Licht schimmerte, offenbar war er feucht, ja, man konnte etwas Rotes sehen. Blut? War das ein blutiges Stück Stoff? Anscheinend. Nur, was sollte das Ingvi jetzt sagen?
Gleichzeitig war Ingvi dankbar für den Kontext, den ihm sein Gegenüber mit den nächsten Sätzen gab, und ziemlich angesäuert wegen dem Inhalt, der darin enthalten war. Kurz dachte der Schwarzhaarige über seine Worte nach, und was sie für die Situation bedeuteten: Wer auch immer das hier war, es war nicht davon auszugehen, dass er mit Yuzuki gemeinsame Sache machte. Nicht etwa, weil er sie wie eine Geisel bezeichnete; das könnte ebenso gut Teil eines Plans sein, in dem sie einen wichtigen Platz einnahm. Es war eher die Tatsache, dass diese Person anzunehmen schien, dass Yuzuki ihm persönlich wichtig war. Klar, er mochte sie, aber im Endeffekt war sie doch nicht mehr als eine flüchtige Bekannte, die er erst dreimal gesehen hatte, warum also sollte ihn ihre Gefährdung interessieren? Wenn diese Person die Informationen des Mädchens hätte, dann wäre ihr wohl klar, dass der Rutako deswegen nicht unter Druck stehen würde, also konnten sie nicht unter einer Decke stecken. Was wiederum die Frage aufwarf, woher er denn wusste, dass Ingvi hier auf sie wartete. Es war ein spontanes, zufällig ausgemachtes Treffen gewesen, auch wenn sie sich etwas merkwürdig verhalten hatte, aber es gab ja genug mögliche Erklärungen dafür. Eigentlich konnten das doch nur die Leute wissen, die anwesend gewesen waren, als sie sich auf dem Flohmarkt getroffen hatten. Und Leute, die von diesen Leuten davon erzählt bekommen hatten. Und natürlich Bekannte von Yuzuki, vor denen sie später arglos darüber geschwärmt hatte, dass sie sich bald mit ihrer großen Liebe treffen würde... „Mist, es gibt zu viele Möglichkeiten.“ Resignierend stellte Ingvi fest, dass er unmöglich herausfinden konnte, wer das hier war. Bei seiner Geschwindigkeit war er bestimmt ein Shinobi, Jun würde er es zutrauen, doch dann würde er sich doch an das verdammte Gesicht erinnern! Also ein Shinobi, den er nicht kannte, der entweder auf dem Flohmarkt gewesen war oder eine anwesende Person gekannt hatte. Jawohl, vollkommen unmöglich. „Entschuldige bitte, aber ich habe leider keine Ahnung, wer du bist...“, antwortete Ingvi kühl, ohne auf die Drohungen auch nur einzugehen. Er wollte nicht, dass Yuzuki etwas geschah, und er war sich relativ sicher, dass der Fremde sie wirklich in seiner Gewalt hatte, immerhin war sie eher schwächlich und er hatte ihren Namen gekannt, der selbst Ingvi ein wenig fremd war. Doch jetzt darauf einzugehen, wäre sinnlos. Der Kenjutsuka war einfach nicht der Typ dafür, sich aufzuregen, wenn es um das Leben einer anderen Person ging, selbst wenn sie zu den wenigen Personen gehörte, die ihm sympathisch waren. Doch er kannte dieses Mädchen ja eigentlich kaum, hatte nur zweimal mit ihr gearbeitet, war weder groß mit ihr befreundet, noch verwandt oder sonst etwas. Trotzdem würde er sie nicht einfach sterben lassen, und er würde sicher nicht zulassen, dass irgendein Idiot, der Leute, die ihn gar nicht kannten, im Park anfiel, ihr schadete – dieser Junge würde heute noch Blut fließen lassen. Ruckartig schnellte seine Zunge über die roten Lippen, ehe er leise gähnte. „Wenn Yu-san nicht mehr kommt, dann ist das Treffen wohl abgesagt... Ich kann jetzt also heim gehen, richtig?“