Shunsui schloss die Augen und atmete erneut tief ein und aus. Die Gedanken des jungen Mannes schweiften zu seiner letzten Mission ab, die er zusammen mit Furasaki Oita absolviert hatte. Beim Gedanken an den emeritierten und exzentrischen Miyago, musste der junge Mann grinsen. Der Alte war nach wie vor ein Mysterium, aber er hatte dem Jirokou ermöglicht, etwas über sich selbst zu lernen. Damals hatte er seinen Körper und seine Seele in Gleichgewicht bringen müssen, um wahre Stärke entfalten zu können. Was wie ein mysteriöser Humbug klang, hatte sogar wirklich funktioniert, als der völlig erschöpfte Chuunin in diesem Zustand ein Tor der Hachimon Tonko geöffnet und wundersame Kräfte gezeigt hatte. In der Zwischenzeit hatte sein ausgiebiges Training auch dazu geführt, dass er diese seltsame Technik verstanden und letzten Endes sogar gemeistert. *Jetzt muss ich nur noch jemanden finden, an dem ich sie austesten kann.* Oh ja, und das am besten ohne dabei draufzugehen. Dabei musste der Blondschopf unwillkürlich an einen anderen Genin denken, Yamakabe Isamu. Der unscheinbar wirkende, kleine Junge hatte einen Angriff in voller Stärke von ihm überlebt, auch wenn er durchaus Blessuren und Verletzungen davon getragen hatte. Das wäre natürlich die ideale Testperson für seine neue Technik, aber der Jirokou hatte spontan keine Idee, wo der Junge wohnte und wie er ihn kontaktieren sollte – obgleich er davon überzeugt war, dass sich der Yamakabe über diesen neuerlichen Test seines Widerstands freuen würde. *Naja, jedem das seine.*, tat der falsche Brillenträger in Gedanken diese komische Vorliebe ab.
Es schien der Wink des Schicksals zu sein, der Shunsui seine gewünschte Herausforderung offenbarte. Wie aus dem Nichts, bohrte sich ein Pfeil neben ihm in den Boden. Von dieser Ankunft überrascht, schaute sich der junge Mann nach der Quelle dieses Pfeils um – hatte er etwa eine Falle übersehen? Doch es war niemand zu sehen und keinerlei Armatur machte Anstalten, einen weiteren Pfeil auf ihn zu feuern. Zudem bezweifelte der Chuunin bei Betrachtung der Tatsachen, dass der Pfeil abgeschossen worden war, um ihm zu schaden. Dafür hätte er nicht in so hohem Bogen und von oben kommen müssen, sondern direkt auf ihn abgefeuert werden sollen. Der sich am Pfeil befindliche Zettel war ein weiterer Beweis dafür, dass er von Menschenhand kam. Neugierig faltete er den Zettel auseinander. Goldene Seelenspiegel überflogen den knackigen Satz und schauten sich anschließend im Sumpfgebiet. Vom Absender fehlte jedoch jede Spur. „Eine Herausforderung.“, murmelte Shunsui leise vor sich hin. Unterschrieben von einem gewissen Taka. Erneut schaute sich der Blondschopf um. War er auch der richtige Empfänger dieser Nachricht? Es befand sich schließlich niemand anderes hier, wer sollte also sonst gemeint sein? Wer sich auch immer in den Sumpf gewagt hatte, musste über entsprechende Fähigkeiten verfügen oder einfach nur lebensmüde sein. So oder so versprach es Spannung! *Taka, Taka …* Er kannte niemanden mit diesem Namen. Falke konnte höchstens auf den Hayabusa-Clan hindeuten, aber seinen einzigen Kontakt dazu hatte er von sich gestoßen und dementsprechend seit Wochen nichts gehört. Und ansonsten kannte er ja niemanden aus diesem Clan, weshalb Shunsui diesen Gedanken fürs Erste verwarf. In diesem Augenblick kam der falsche Brillenträger gar nicht auf den zweiten Vertreter des Clans, mit dem sich seine Wege schon einmal mehr oder weniger gekreuzt hatten: Hayabusa Ray. Das lag daran, da er dachte, dass er sich während des Showkampfes so blöd und schwächlich angestellt hatte, dass ihn nie und nimmer wen verdächtigen würde. Weit gefehlt.
Finde mich, wenn du kannst, war ganz offensichtlich eine Aufforderung, jemanden zu suchen. Und die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass sich der unbekannte Absender im Umkreis befand, und ihn aus einem sicheren Versteck heraus beobachtete. Aufregung und Entschlossenheit machten sich in Shunsui breit, denn er nahm diese Herausforderung an. Eines wusste der unbekannte Absender jedoch nicht über ihn – er war weniger der Typ für Finesse und mehr so der Typ, Kopf durch die Wand. Zwar hätte der Jirokou am Liebsten laut eine Herausforderung gerufen, aber er war ja dazu aufgefordert wurden, die Person zu finden. Sein Ziel stand dabei fest, denn es galt denjenigen oder diejenige aus seinem oder ihrem Versteck herauszulocken. Die Person konnte sich im Schatten verbergen, hinter Bäumen, in den Bäumen selbst verbergen, aber sie war in der Nähe, dessen war er sich sicher. Kurz dehnte sich der Jirokou und atmete mehrmals tief ein und aus, um sich auf seine folgende Aktion vorzubereiten. Wie von der Tarantel gestochen, stieß er sich vom Boden ab und rannte ein kurzes Stück in den Wald, ehe er plötzlich abbog. Die Lichtung, in welcher er sich befunden hatte, war von Bäumen umringt. Daher rannte Shunsui in höchstem Tempo im Zickzack von der ersten Baumreihe zur zweiten, vor und zurück und umrundete dabei die Lichtung. Schließlich sprang er wieder in die Mitte der Lichtung und schaute sich um. Die ganze Aktion hatte keine fünf Sekunden gedauert, so schnell war er in Höchsttempo davongerannt. Doch was hatte der junge Mann gerade getan? Hatte er etwa Ausschau nach der Person gehalten? Warum dann aber nur in diesem Umkreis? Antwort darauf mochte die Klinge geben, die sich in seinen Händen befand. War sie nicht gerade eben noch verstaut gewesen?
Mit einem plötzlichen Knirschen, bewegten sich viele der Bäume um sich herum, denn Shunsui hatte den Stamm jeden zweiten oder dritten Baumes quer durchgeschnitten, sodass die Schwerkraft jetzt ihr Werk ausführen konnte und die Bäume umkippten und zusammenbrachen. Dafür war natürlich ein ungeheuer großer Krafteinsatz und eine unglaublich scharfe und stabile Waffe vonnöten – doch zum Glück hatte der Jirokou beides parat. Seine Waffe war von höchster Qualität und aus Chakrametall, während seine Körperkraft so gewaltig war, dass er mühelos Felsen zerschmettern konnte und vieles mehr. Während ein Baum nach dem Anderen umkippte und zusammenbrach, suchten die goldenen Seelenspiegel die Umgebung fieberhaft ab, nach dieser einen verräterischen Bewegung, die ihm den Aufenthaltsort des unbekannten Herausforderers offenbaren würde. „Komm raus, wo immer du dich versteckst.“, murmelte der falsche Brillenträger leise vor sich hin.
Die Frage, die sich nun stellte, war doch ob es auch den Baum erwischt hatte, auf dem sich Ray befand? Und falls nicht, wie würde er auf diese gewaltvolle Kraftdemonstration reagieren? Der Falke kannte Shunsui noch nicht wirklich, aber er würde es bald tun. Und über eines konnte er sich sicher sein: Der Blondschopf würde den ganzen Wald abreißen, bis er seinen Herausforderer gefunden hatte, das stand fest!