Agil wie ein besonders fettes Würmchen, das rein zufällig an seiner Kehle angewachsen war, beförderte die Zunge
des Najikama seinen knallblauen Lollipop in den anderen Mundwinkel. Wahnsinn. Diese Dinger waren so süß, dass man den Karies schon spürte, wenn man sie nur lange genug an einer Stelle behielt. Bestimmt musste er sich nach diesem Frevel gegenüber seinem eigentlich recht straff gehaltenen Diätplan erst einmal für den Rest des Abends die Zähne scheuern lassen, aber er bereute es mit keiner Faser seines Körpers. Betrachtete man die schiere Menge an Essbarem, die der kleine Junge heute schon in sich hineingeschlungen hatte, war ein einziger Lutscher nur ein Sandkorn im Wind. Es wunderte Atsui selbst, dass er überhaupt noch dazu in der Lage war, aufrecht durch die Einkaufpassage zu stolzieren. Nach seinem persönlichem Gefühl zu urteilen könnte er sich nämlich ohne Weiteres durch Soragakure rollen. Nicht, dass Völlegefühl irgendwie unbekannt für ihn war - als einer der reichsten Menschen des Nebelreiches hatte er niemals Hunger leiden müssen - aber damals, als er noch nicht die kulinarischen Wunder von seiner besten Freundin oder dem rothaarigen Chuunin gekostet hatte, sondern in seiner großen Villa in Kirigakure lebte, damals hatte es strenge Essenspläne gegeben. Es hatte Atsui schon gewaltige Überwindung gekostet zu verstehen, dass normale Menschen zum Kühlschrank gingen, wenn sie hungrig waren und etwas dagegen taten. Drei ganze Tage hatte er gehungert und ihren weißhaarigen Mitbewohner beobachtet, wie er das Gerät bediente, ehe er sich getraut hatte, zu fragen, ob er etwas für das Essen darin bezahlen musste. Nach der Erkenntnis, dass man diesen wundersamen Gegenstand mit allem auffüllen konnte, was das Herz begehrte, hatte eine neue Ära begonnen und so fraß sich der kleine Junge täglich durch die unterschiedlichsten Gerichte. Unter Aufsicht seiner allerbesten Freundin bereitete er sich die einfachen Speisen des gemeinen Volkes zu und achtete dabei nicht unbedingt darauf, ob sich diese Dinge geschmacklich ergänzten. Es kam schon einmal vor, dass er Instant-Ramen mit einer Schaumrolle auftunkte, doch was tat man nicht alles, um sich der Allgemeinheit ein bisschen anzupassen? Auch heute hatte er wieder etwas Neues entdeckt: Die wundersame Welt des Kinos! Der Najikama, der in seinem ganzen Leben noch nie einen Fernseher erblickt hatte, war so von der Atmosphäre und dem Film gebannt, dass er sich widerstandslos in eine furchtbare Schnulze hatte schleifen lassen. Obwohl er sonst sicher protestiert hätte, dass Filme das Hirn schmelzen ließen (so war es zumindest die Propaganda seines Vaters gewesen), hatte er an diesem Abend zum Ende der Lovestory sogar ein klein bisschen geweint - was er natürlich vehement abgestritten hatte. Während der Vorstellung hatte er sein nie versiegendes Bargeld genutzt, um erst Käsenachos, dann Eiscreme, dann Popcorn, dann Gummibärchen und letztendlich auch Lollis zu essen, so dass ihm jetzt etwas schlecht war. Doch das machte nichts. Atsui freute sich wie ein Schnitzel darüber, etwas Neues gelernt zu haben, wiedereinmal ein Stück Vergangenheit zurückgelassen zu haben, das ihn band und als Freak abstempelte. Wer wusste schon nicht, was ein Kino war?...
"Yumi-chan? Ich mache mir Sorgen..."
Wie aus dem Nichts blieb Atsui plötzlich stehen, so dass auch seine rosahaarige Begleitung zum Anhalten gezwungen war - er hielt sie an der Hand - und schaute zu ihr auf, mit dem typischen Businessmanblick, den er in ernsten Angelegenheiten aufsetzen konnte wie alle seiner Masken. Die ausdruckslosen, hellblauen Augen funkelten im Licht der nahen Straßenlaterne, als er den Lolli aus dem Mund nahm und ihn vor ihr Gesicht hielt, damit sie ihn genauestens begutachten konnte.
"Dieses Stück Naschwerk enthält - seinem Geschmack nach zu urteilen - eine große Menge an künstlichen Farbstoffen. Ich frage dich nun also als meine Freundin, im Vertrauen darauf, dass du mir eine ehrliche Antwort geben wirst...Ist meine Zunge blau?" So stoisch, als würde er nicht über seine Zunge, sondern über einen komplizierten Finanzplan disputieren, öffneten sich die weichen, leicht blaustichigen Lippen des Teenagers und gaben eine Geschmacksorgan frei, dessen Fläche über und über von blauer Farbe bedeckt war, welche sich höchstwahrscheinlich vom ebenso blauen Lolli gelöst hatte. Man könnte nun meinen, dass Najikama Atsui Probleme damit hatte, wenn Leute in seinen Mund schauten, aber er hatte mittlerweile gelernt, dass es Grenzen zwischen Höflichkeit und Vertrautheit gab. Leider verschwammen sie des Öfteren und sorgten dafür, dass er hin und wieder ein bisschen komisch war. So adressierte er Yumi beispielsweise immer mit einem '-chan', teils um mit jedem Satz, den er sagte, hervorzuheben, dass sie ein Mädchen war und es keinerlei Anlass gab, etwas anderes zu behaupten, teils, weil sie einfach niedlich war, sprach aber dennoch in seiner gewohnten hochtrabenden Beamtensprache mit ihr. So hielt er die ganze Zeit über mit ihr Händchen, dass sie aussahen wie ein verliebtes Pärchen, hielt seine Hand jedoch so steif, als wäre die ihre ein Baseballschläger und kein lebendes Gewebe. Und während er so mit offenem Mund auf ein Urteil ihrerseits wartete, unter einer Straßenlaterne stehend, die die wachsene Nacht erhellte, betrachtete er sie misstrauisch, denn sobald sie sich von seinem Verhalten irgendwie angegriffen fühlte, würde er einen Kniefall machen und sich wortreich bei ihr entschuldigen, wie es die Höflichkeit gebot. Mann, manchmal wusste er selbst nicht, was er wollte...